AERZTE Steiermark 07-08/2024
 

Ärztliche Aufklärung: Es kommt auf den Einzelfall an

Das Thema „Ärztliche Aufklärung“ ist komplex. Die Kurie Angestellte Ärzte traute sich bei einem Webinar mit zwei kompetenten Juristen drüber.

Die beiden Rechtsanwälte Daniel Heitzmann und Michael Tauss sprachen das Thema sehr umfassend an. Klar ist: Ärztliche Aufklärung muss sein. In absoluten Notfällen (bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben) oder bei einer Operationserweiterung (wenn die OP nicht ohne weiteres abgebrochen und später fortgesetzt werden kann) kann sie ausnahmsweise unterbleiben. Auch wenn eine Patientin oder ein Patient nicht aufgeklärt werden will, wird die Aufklärung unterbleiben. In einem OGH-Urteil dazu heißt es: „Gegen seinen Willen soll dem Patienten eine Aufklärung nicht aufgenötigt werden.“ Es muss aber entsprechend dokumentiert werden, dass die Patientin, der Patient auf die Aufklärung verzichtet hat. Überhaupt lautet der generelle juristische Rat: dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren! Ansonsten muss die Aufklärung vor jeder medizinischen Heilbehandlung, also vor Therapie, Diagnose, prophylaktischen und schmerzlindernden Maßnahmen, erfolgen. Inhalte der Aufklärung sind Diagnose und Krankheitsverlauf, Therapieverlauf und (vor allem typische) Risiken. Beim Umfang der Aufklärung legt sich der OGH aber nicht fest: „Der Umfang der Aufklärung muss aufgrund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden“, schreibt er in einer Entscheidung. Das heißt, je dringender und notwendiger eine ärztliche Maßnahme ist, desto weniger Aufklärung ist erforderlich. Im Umkehrschluss bedeutet dies, je weniger dringend und notwendig eine Maßnahme ist, desto mehr Aufklärung ist vonnöten. Wichtig ist: Nur bei richtiger Aufklärung liegt das schicksalhafte Risiko bei der Patientin, beim Patienten.


Ohne Aufklärung geht es nicht

Die Wichtigkeit der Aufklärung hat der OGH in einer anderen Entscheidung betont: „Wenn der Arzt die gebotene Aufklärung unterlässt, hat er  die Heilbehandlung fehlerhaft vorgenommen.“ Damit ist rechtlich klargestellt, dass die Aufklärung ein immanenter Teil der Heilbehandlung ist.


Zeitrechte Aufklärung

Klar, Aufklärung muss so erfolgen, dass die Patientin bzw. der Patient auf deren Grundlage eine selbstbestimmte Entscheidung treffen kann. Das heißt, sie muss frühzeitig erfolgen. Aber was heißt frühzeitig? Dazu gibt es mehrere spezifische OGH-Entscheidungen, wobei diese immer auf den konkreten Einzelfall umzulegen sind. Als allgemeine Aussage des OGH kann jedoch festgehalten werden: „Die ärztliche Aufklärung hat grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass dem Patienten noch eine angemessene Überlegungsfrist offenbleibt. Bei dringend gebotenen Behandlungen ist allerdings zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der ärztlichen Hilfeleistungspflicht abzuwägen. Die Dauer der dem Patienten nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt einzuräumenden Überlegungsfrist hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Dringlichkeit der ärztlichen Behandlung ab.“

Wenn es „Voraufklärungen“ gab, kann ein endgültiges Aufklärungsgespräch ein bis zwei Stunden vor einer OP ausreichend sein. Bei einer Bänderriss-OP kann eine zehnstündige Überlegungsfrist im Einzelfall genügen. Bei nicht unmittelbar indizierten Eingriffen (etwa einer Sterilisation gemeinsam mit einer Kaiserschnitt-OP) ist die Aufklärung am Weg in den OP nicht ausreichend. Alle diese Aussagen stammen aus OGH-Entscheidungen. So wie auch diese beiden: Eine Aufklärung 18 Stunden vor dem Eingriff – konkret ging es um eine Hüft-OP – ist bei mangelnder Dringlichkeit und erheblicher Schwere des Eingriffs für eine angemessene Überlegungszeit nicht genug. Sehr wohl als ausreichend beurteilte ein anderer OGH-Senat die Aufklärung am Vortag einer Prostata­ektomie, wenn dem Patienten aufgrund der kurzfristigen Diagnose ein Ersatztermin „einige Monate später“ angeboten wurde. Bei rein ästhetischen Eingriffen müssen zwischen Aufklärungs- und OP-Termin zumindest zwei Wochen liegen.

Ein spezielles Thema ist die Aufklärung von Menschen, die nicht oder nur begrenzt Deutsch sprechen. Der Arzt oder die Ärztin haben sich zu vergewissern, ob die Aufklärung verstanden wird (so genannte Erkundungs- und Kontrollpflicht). Andererseits muss die Patientin, der Patient am Aufklärungsgespräch mitwirken und bei Unklarheiten nachfragen bzw. Sprachbarrieren aufzeigen. Die Aufklärung kann auch in einer anderen Sprache als Deutsch erfolgen, wenn die Ärztin oder der Arzt auf der einen Seite und die Patientin bzw. der Patient auf der anderen sie beherrschen. Gegebenenfalls kann auch im Bedarfsfall ein Dolmetsch beigezogen werden, entweder ein professioneller oder etwa auch ein Familienmitglied. Wichtig ist dabei jedenfalls die Entbindung von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht durch die Patientin bzw. den Patienten. Etwaige anfallende Kosten hat der Krankenanstaltenträger zu übernehmen. In der Niederlassung ist eine Kostenvereinbarung zu treffen bzw. gilt die Gebührenordnung. Sind die Sprachbarrieren unüberwindlich, sollte die Behandlungsübernahme abgelehnt werden, außer es geht um dringend erforderliche ärztliche Hilfe (Erste Hilfe). Bei nicht entscheidungsfähigen Patient:innen müssen Vorsorgebevollmächtigte:r bzw. Erwachsenenvertreter:in aufgeklärt werden. Aber im Sinne des Patient:innenwohls ist auch ein entsprechend angepasstes Aufklärungsgespräch mit dem oder der Betroffenen zu führen, sagen die Juristen.


Form der Aufklärung

Der OGH hat festgehalten, dass „das unmittelbare persönliche ärztliche Aufklärungsgespräch durch nichts ersetzt werden kann“. Das bedeutet, dass eine rein schriftlich erfolgte Aufklärung nicht ausreichend ist. Es wird empfohlen, anhand der (standardisierten) Aufklärungsformulare die wesentlichen Inhalte zu vermerken, wie bspw. welche Fragen die Patientin, der Patient gestellt hat oder auf welche Risiken und Folgen hingewiesen wurde. Wobei – und das ist die gute Nachricht – zwar Ärztin oder Arzt (nicht Famulantin oder Famulant) die Aufklärung vornehmen müssen, die Verantwortung liegt aber bei der Leitung bzw. beim Träger einer Krankenanstalt oder einer anderen Einheit (auch PVE). Ist die medizinische Behandlung interdisziplinär, hat eine stufenweise Aufklärung stattzufinden. Dabei muss (und kann) sie aber nicht über den eigenen medizinischen Verantwortungsbereich hinausreichen, befindet eine OGH-Entscheidung aus dem Jahr 2023.

 

Grundlage dieses Beitrags ist die Webinar-Präsentation der Heitzmann Pils Tauss Rechtsanwälte GmbH vom 5.6.2024.

 

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