AERZTE Steiermark 06/2024
Das Beste aus beiden Welten
Christine Kopp ist als Kinder- und Jugendpsychiaterin mit einer Wahlarztordination niedergelassen und medizinische Leiterin eines multiprofessionellen Zentrums.
„Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund“, empfahl die heilkundige Hilde von Bingen schon vor rund 800 Jahren. So lässt auch Christine Kopp, Allgemeinmedizinerin und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapeutische Medizin, ihre Springerspaniel-Dame Daisy therapeutisch wirken. Dass Daisy das zustandebringt, ist nicht so sehr ihrem treuen Hundeblick zu verdanken, sondern einer Ausbildung beim Animal Training Center, die sie zur Therapiehündin qualifizierte. „Am liebsten arbeitet Daisy mit Senior:innen“, erzählt die Kinder- und Jugendpsychiaterin Kopp, „das klingt jetzt zwar vielleicht ein bisschen eigenartig, weil ich Kinder- und Jugendpsychiaterin bin, aber eigentlich ist es ganz logisch. Mein Mann und ich haben uns nach einem hundefreien Corona-Jahr entschieden, wieder einen Hund zu wollen. Und weil Daisy als Welpe in der Coronazeit zu uns kam, hatte sie viel Kontakt mit meinen Eltern. So liebt sie grauhaarige Menschen ganz besonders“, schmunzelt Kopp, „aber sie hat ein offenes, fröhliches Wesen und arbeitet natürlich auch viel und gern mit Kindern – und zwar einzeln, aber auch in Gruppen“. Die kommen als Patient:innen zu ihrem Frauchen, entweder in deren Wahlarztordination in Leibnitz oder im kinder- und jugendpsychiatrischen Zentrum des Hilfswerks Steiermark in Feldbach, wo Kopp als medizinische Leiterin fungiert.
Lieber Ärztin als Psychologin
Frisch maturiert wusste Kopp zwar sicher, dass sie gerne am Land leben und arbeiten mochte – und zwar in einem helfenden Beruf. Infrage kamen aber Medizin oder Psychologie – und Kopp konnte sich nicht entscheiden. Dann stand die Immatrikulation an und sie setzte sich in den Zug, um von Leibnitz nach Graz zu fahren. Dort erst entschied sich für die Medizin, weil sie sich dachte, dass sich Menschen, die am Land leben und Schwierigkeiten haben wohl eher an eine Ärztin wenden als zur Psychologin zu gehen. Beim Sezierkurs kamen Kopp dann doch Zweifel und sie setzte sich probehalber in eine Psychologievorlesung. Für die Medizin ein glücklicher Umstand, denn der Professor, der sie hielt, imponierte eher wirr. So wandte sich Kopp erleichtert wieder den strukturierten, klaren Medizinern zu und zog ihr Studium durch.
Ihre Hausärztin Dr. Maria Zöhrer als leuchtendes Vorbild vor Augen, wollte Kopp eigentlich praktische Ärztin werden. Denn Zöhrer nahm sich – Kassenordi hin oder her – auch viel Zeit zum Reden, wenn eine Patientin oder ein Patient das brauchte. Das wusste man und schätzte es und nahm Wartezeiten geduldig in Kauf. Dieser Neigung zur sprechenden Medizin scheint es geschuldet zu sein, dass Kopp bereits im Turnus Patient:innen mit Aussprachebedarf von ihren Kolleg:innen „zugeschanzt“ bekam, ob nun auf der Gynäkologie oder in anderen Abteilungen. So entschied Kopp sich nach dem Turnus für die Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychiaterin – und zwar in Klagenfurt. Dort war eine Facharztstelle ausgeschrieben, die Kopp bekam, obwohl sie „nur“ Allgemeinmedizinerin mit Psydiplom war, und genoss eine exzellente Ausbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie, die sehr multidisziplinär ausgerichtet war, und eröffnete ihre Wahlarztordination 2016 im heimatlichen Leibnitz. 2017 trat das Hilfswerk Steiermark an sie mit der Bitte heran, die im Aufbau befindliche Beratungsstelle in Feldbach kinder- und jugendpsychiatrisch zu betreuen, weil die Südoststeiermark diesbezüglich stark unterversorgt war.
Klare Sprache und hilfreiche Struktur
Ihre bereits im Rahmen der Studienwahl deutliche Neigung in Richtung strukturierter Klarheit kommt Kopp nun auch als Kinder- und Jugendpsychiaterin zugute. Schon in Klagenfurt hatte sie sich viel mit Autismus und ADHS beschäftigt und führt dies nun fort. Ganz Medizinerin legt Kopp viel Wert auf eine gute Diagnostik, so hat das Zentrum im Feldbach einen Schwerpunkt daraufhin gelegt. Denn Behandlung ohne klare Diagnose, wie sie zum Teil in der Psychologie gepflogen wurde, kommt für Kopp nicht in Frage. „Wir haben sehr komplexe Fälle in unserem Zentrum“, erzählt sie, „daher legen wir viel Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit und bieten den Eltern hier eine Art One-Stop-Shop an. Denn die Kinder und Jugendlichen – gerade wenn es um Autismus oder ADHS geht – brauchen Unterstützung in vielen verschiedenen Bereichen. Und viele Eltern wären überfordert, wenn sie das alleine organisieren müssten.“ Auch sehr wichtig ist die Kooperation mit der kinder- und Jugendhilfe. In der Arbeit mit Eltern setzt Kopp voll auf Prävention: „Wenn man schon in der Schwangerschaft lernt, was Bindung ist und wie wichtig sie ist, dann zeigt sich deutlich, dass es deutlich weniger Probleme gibt, wenn das Baby bzw. Kind dann da ist. Das ist durch Studien eindeutig belegt.“
Nicht nein sagen trauen
Wenn ein Fünfjähriger seine Eltern fortwährend schlägt und beißt, ist das natürlich besorgniserregend: Das Kind zeigt ein gestörtes Verhalten. „Im Gespräch mit den Eltern wird dann aber rasch deutlich, dass sie gedacht haben, gegenüber dem Kind darf es niemals ein Nein geben“, so Kopp. „Kinder brauchen aber Grenzen. Sie brauchen Struktur. Da ist es wichtig aufklärend anzusetzen – und zwar möglichst früh. Deshalb ist mir die Prävention so wichtig. Am liebsten wäre mir, wenn das schon in den Mutter- bzw. Eltern-Kind-Pass integriert wäre.“ Denn manche Eltern wären bezüglich ihrer Kinder schon fast in einer Art Negativ-Trance, so die Kinder- und Jugendpsychiaterin, „manche können, wenn man sie fragt, gar nichts Positives an ihrem Kind finden.“
Das Beste aus beiden Welten
So arbeitet Kopp an zwei Nachmittagen pro Woche in ihrer Praxis und die restliche Zeit im Zentrum im Feldbach. Die Praxis gibt Kopp die Möglichkeit, sich flexibel Freiräume für die Work-Life-Balance zu verschaffen und die klassische Arzt-Patient-Beziehung zu pflegen. Im Zentrum dominiert die interdisziplinäre und vernetzte Arbeit. So genießt Kopp die Benefits aus beiden Settings. „Wobei ich schon anmerken muss: Ohne die Unterstützung meines Mannes und meiner Familie wäre dieses Arbeitspensum nicht möglich“.
Fotos: KK, barefoot photography