AERZTE Steiermark 01/2024
Messbare Erfolge
Die Akutgeriatrie hilft den Menschen. Das belegt auch der jüngste Bericht, für den Daten von mehr als 5.900 Patientinnen und Patienten in 14 AG/R-Stationen herangezogen werden konnten.
„Die Akutgeriatrie ist ein medizinischer Fachbereich, der sich auf die akute Versorgung älterer Menschen konzentriert, insbesondere bei akuten Erkrankungen oder Verletzungen. Das Ziel ist es, eine umfassende medizinische Versorgung anzubieten, die die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen älterer Patienten berücksichtigt. In der Akutgeriatrie arbeiten verschiedene Fachleute wie Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten und Sozialarbeiter zusammen, um eine ganzheitliche Betreuung zu gewährleisten.“ So definiert die KI-Software ChatGPT Akutgeriatrie.
Etwas spezifischer formuliert es das Prozesshandbuch Akutgeriatrie/Remobilisation (Pochobradsky, Neruda, und Nemeth, 2017): „AG/R-Einheiten gestalten die Versorgung geriatrischer Patientinnen und Patienten im Fall einer stationär zu behandelnden Akuterkrankung bedarfs- und bedürfnisgerechter gegenüber anderen Abteilungen des Krankenhauses (KH). Entsprechend den Charakteristika geriatrischer Patientinnen und Patienten – allen voran Multimorbidität und Gefahr des Verlusts funktioneller Fähigkeiten –, zielt die AG/R insbesondere auf die Erhaltung und Wiederherstellung der Fähigkeit zur weitgehend selbstständigen Lebensführung sowie auf die Reintegration der Patientinnen und Patienten in ihr eigenes Umfeld.”
Der jüngste Akutgeriatrie-Bericht (für das Jahr 2022) des Vereins Qualität in der Geriatrie und Gerontologie (QiGG) und von Joanneum Research stellt statistisch dar, wie erfolgreich die Akutgeriatrie in ihrem Bemühen um geriatrische Patientinnen und Patienten war. Ausgewertet wurden dafür gut 5.900 Fälle aus 14 AG/R-Stationen in Österreich. Dahinter steckt eine ernsthafte Herausforderung.
Die Zahl der Alten verdoppelt sich
„Die Zahl der 80plus-Jährigen in Österreich wird sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln. Der soziale und medizinische Umgang mit dieser wachsenden Gruppe, sowohl im Krankenhaus als auch extramural, wird demnach wesentlich von der Solidarität der jüngeren, noch erwerbstätigen Bevölkerung und den zivilisatorischen Prägungen der Nachfolgegenerationen abhängen“, sagt QiGG-Obmann Prim. Peter Mrak.
„Im Bericht wird dargestellt, was die Akutgeriatrie ist, welche Personen dort behandelt werden und wie groß die Therapieerfolge sind. So konnten 90 Prozent der Patient:innen, die zuvor zu Hause gewohnt haben, nach dem Aufenthalt wieder dorthin zurückkehren. Dies ist zum einen ein großer Gewinn für die Patient:innen und zum anderen ein großer Gewinn für die Gesellschaft, da das Pflegeheim vermieden werden konnte“, erklärt Daten-Experte und JOANNEUM RESEARCH-Projektleiter Julian Gutheil.
Frauen und Männer
Der Bericht 2022 geht dabei auch sehr genau auf die (teils erheblichen) Unterschiede zwischen Frauen und Männern ein. Das beginnt schon bei der Zuweisung, die laut Bericht vorrangig durch eine hausinterne Abteilung, ein anderes Krankenhaus oder die Hausärztin, den Hausarzt erfolgte.
Am Anfang steht das Geriatrische Assessment. Das Geriatrische Assessment ist laut Definition der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie „eine systematische, multidisziplinäre Evaluation des älteren Menschen“. Dadurch können die komplexen Probleme erfasst, beschrieben und analysiert werden. Die Darstellung und die Ermittlung vorhandener Ressourcen und Stärken dienen als Basis für die Erarbeitung eines koordinierten Versorgungsplans, des Bedarfs an Hilfsmitteln und der Interventionen im Rahmen einer umfassenden Betreuung. Dabei werden Selbsthilfefähigkeiten, Mobilität, Ernährung, Stimmungslage, Kognition, Schmerz, Sozialanamnese und Kontinenz bewertet.
Bereits hier zeigen sich auffällige Geschlechterunterschiede. Besonders stark zeigen sie sich beim sozialen Umfeld. Laut Auswertung leben fast 45 Prozent der Frauen, aber nur knapp 28 Prozent der Männer allein, während 24,2 Prozent der Männer, aber nur an die 11 Prozent der Frauen eine/n rüstige/n Partner:in haben.
Erhebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern zeigen sich auch bei den Aufnahmediagnosen. Die häufigste Diagnose ist die Schenkelhalsfraktur. Sie betrifft 14,4 Prozent der Frauen, aber weniger als 9 Prozent der Männer.
Die wichtigste auslösende Aufnahmediagnose ist der Bereich „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“. Er betrifft fast 42 Prozent der Frauen, aber nur etwas mehr als 25 Prozent der Männer, während „Krankheiten des Kreislaufsystems“ der Auslöser für fast ein Fünftel der Aufnahmen von Männern, aber nur für 12,2 Prozent der Aufnahmen von Frauen waren.
Die wichtigste (begleitende) Funktionsstörung war zwar bei beiden Geschlechtern „Schmerz“, betraf aber Frauen deutlich häufiger (76,6 Prozent) als Männer (66,2). Ähnlich sieht es auch bei den „Begleiterkrankungen“ aus. An Osteoporose litten demnach 60,9 Prozent der Frauen, aber nur 32,7 der Männer.
Weniger groß waren die Geschlechterunterschiede bei den Therapien. Am häufigsten waren bei beiden Geschlechtern Physiotherapie und Ergotherapie. Bei den diagnostischen Leistungen standen Radiologie und kardiologische Funktionsdiagnostik ganz vorne.
Verbesserungen sind messbar
Der Bericht zeigt aber auch den Erfolg der Akutgeriatrie. Eindrucksvoll lässt sich das etwa am Beispiel der Mobilität darstellen: Von den Personen, die bei der Aufnahme in die Akutgeriatrie in der Kategorie „Sturzrisiko deutlich erhöht“ lagen, waren 29,9 Prozent bei der Entlassung in der Kategorie „Sturzrisiko leicht erhöht“ und 15,9 Prozent in der Kategorie „Mobilität leicht eingeschränkt“. 60,8 Prozent von den Personen, die sich bei der Aufnahme in der Kategorie „Sturzrisiko leicht erhöht“ befanden, waren bei der Entlassung in der Kategorie „Mobilität leicht eingeschränkt“.
Hinsichtlich der Selbstständigkeit zeigen sich signifikante Verbesserungen nach einer Behandlung in der Akutgeriatrie: 46 Prozent der Personen, die bei der Aufnahme weitgehend pflegeabhängig waren, benötigten bei der Entlassung nur noch teilweise Hilfe. 41 Prozent der ursprünglich hilfsbedürftigen Personen waren bei der Entlassung nur noch punktuell hilfsbedürftig, gemessen am Barthel-Index.
Rechnet sich
Dass sich auch teure Behandlungen 70plus-Jähriger wirtschaftlich rechnen, zeigt unter anderem eine umfassende Metastudie aus dem Jahr 2017 (Gilgamesh Eamer, Bianka Saravana-Bawan, Brenden van der Westhuizen, Thane Chambers, Arto Ohinmaa, Rachel G. Khadaroo, Economic evaluations of comprehensive geriatric assessment in surgical patients: a systematic review, Journal of Surgical Research, Volume 218, 2017, Pages 9-17).
Link zum vollständigen Akutgeriatrie-Bericht:
https://zenodo.org/records/10442551