AERZTE Steiermark 12/2023
25 Jahre Impfnetzwerk
Die Wissenschaftliche Akademie für Vorsorgemedizin freut sich über 25 Jahre steirisches Impfnetzwerk. Neue Initiativen widmen sich v.a. der Entwicklung von Fort- und Ausbildungen.
Am Anfang waren die Masern. Angesichts eines großen Ausbruchs führte die damalige Gesundheitsministerin Leonore Hostasch 1998 in einer Art politischen Blitzaktion die Masern-Gratisimpfung für Kinder ein – aber ohne eine Struktur, diesen geordnet und dokumentiert verabreichen zu können. Die Landessanitätsdirektion Steiermark konnte zwar Amtsärzt:innen fürs Impfen stellen, aber es war von Anfang an klar, dass eine rasche Wirkung in die Breite nur über die Mitwirkung der niedergelassenen Ärzt:innen erreichbar wäre. So trat man an die Kurie Niedergelassene Ärzte heran, die sich in Person des damaligen Kurienobmanns Jörg Pruckner rasch eine Struktur für die neue Gratisimpfung einfallen ließ: eine steiermarkweit tätige Organisation – einen „Impfverein“ –, der an der Schnittstelle zwischen Niedergelassenen, öffentlichem Gesundheitswesen, Großhandel und Apotheken der Gratis-Masernimpfaktion auf die Sprünge helfen sollte: So trat die Wissenschaftliche Akademie für Vorsorgemedizin (WAVM) auf den Plan. Kurz danach kam die empfindliche Reduktion der Mutter-Kind-Pass-Prämie und die (berechtigte) Sorge, dass die Teilnahme an den Untersuchungen dadurch sinken könne. Die Gegenstrategie: Den Informationsstand der Eltern über die Wichtigkeit des Mutter-Kind-Passes zu verbessern: die WAVM entwickelte das Mutter-Kind-Infoservice. Persönlich und just-in-time vor dem nächsten MKP-Termin erhielten und erhalten die steirischen Eltern ihre Infobriefe. Was dem damaligen Gesundheitsminister Martin Bartenstein, selber Steirer, so gefiehl, dass er diesen Dienst aus dem Ministerium heraus österreichweit aufsetzen wollte. Das geriet allerdings so „amtlich“, dass viele Eltern Angst vor dem „behördlichen“ Schreiben bekamen. So schlief diese Bundesinitiative bald wieder ein, aber in der Steiermark tat das MKP-Infoservice weiterhin seinen elternfreundlichen Dienst.
Was alles geht
Schritt für Schritt wurde das Gratisimpfprogram erweitert, also entwickelte die WAVM das „Impfscheckheft“, damit Eltern und Ärzt:innen ein praktikables Trägermedium für die Impfbons und Rezepte in die Hand bekamen. Was sich – seit 1999 – nicht geändert hat: Die steirischen Gratisimpfungen wurden und werden penibel dokumentiert. Was als einzelne Masernaktion begann, bei der handgeschriebene Listen gefaxt und zum Großhandel getragen wurden, hat sich zur steirischen Impfdatenbank gemausert, die inzwischen über 3 Millionen Gratisimpfungen, die 0–15-Jährigen hierzulande verabreicht wurden, dokumentiert: Welcher Arzt, welchem Kind, wann, welchen Impfstoff in welcher Teilimpfung verabreicht hat, ist ebenso verzeichnet wie auch, wann der Impfstoff mit welchem Rezept in welcher Apotheke abgegeben wurde. Der inzwischen ausgerollte eImpfpass wird noch einige Zeit brauchen, um auch nur annähernd zu dieser Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu kommen – vom Datenvolumen ganz zu schweigen. Das Schöne daran: Die Daten in der steirischen Impfdatenbank werden nicht über den Kopf der Eltern hinweg gesammelt, es liegen sämtlich Einverständniserklärungen dafür vor. Dass dieser Datenschatz sich bezahlt macht, zeigt sich im Ausbruchsfall mehr als deutlich: 24/7 und auch am Wochenende können autorisierte Nutzer:innen den Impfstatus einzelner Kinder/Jugendlicher abfragen. Und auch gezielte Kommunikationsmaßahmen – etwa Briefe an jene Eltern, die ihr Kind zwar gegen einiges, aber doch nicht gegen Masern impfen lassen wollen, können gezielt gesetzt werden. Oder Durchimpfungsraten für einzelne Schulen erstellt. Oder für Gemeinden, in denen es vielleicht eine Häufung impfkritischer Vorträge gab. All das geht in der Steiermark – und zwar seit Jahrzehnten.
Substitution unterstützen
2012 ergab sich – wie 1998 – eine Notlage im öffentlichen Gesundheitswesen: Der Suchtkoordinator des Landes suchte dringend einen Trägerverein für ein Projekt, mit dem Suchtkranke im Raum Graz einen guten Zugang zum Substitutionsprogramm erhalten sollten. Einige große Träger winkten aus verschiedenen Gründen ab. So kam man letztlich auf die WAVM zu, deren Vereinsmitglieder nahezu alle aus der Ärzteschaft kommen. Und die WAVM bekannte sich zur Dringlichkeit der ärztlichen Versorgung auch für eine schwierige Klientel: So wurde dem Drogenplan des Landes Steiermark folgend eine Ordination aufgebaut, in der allgemein- und suchtmedizinische Behandlung durch ein interdisziplinäres Team geboten wird. Der etwas sperrige Titel I.K.A. steht für Interdisziplinäre Kontakt- und Anlaufstelle – und bietet einen niederschwelligen Zugang zum Substitutionsprogramm. Mittlerweile hat sich die I.K.A. vom kleinen Sozialprojekt zur Ordination mit Kassenfinanzierung entwickelt – auf die Interdisziplinarität in der Betreuung wird nach wie vor hoher Wert gelegt.
Und dann kam Corona
Um die COVID-19-Impfungen in den Alters- und Pflegeheimen der Steiermark einfach, rasch, transparent und sicher zu organisieren, wurde die WAVM mit der Entwicklung der App „STIMMT“ (STeiermark IMpft: Mobile Teams) beauftragt. Über die Weihnachtsfeiertage 2021 wurde konzipiert und programmiert, bereits am 7.1.22 wurden über 200 Pflegeeinrichtungen und etwa 300 Ärzt:innen informiert, die sich in einer vorausgegangenen Ärztekammer-Umfrage für die COVID-19-Impfaktionen gemeldet hatten. Im März unterstützte die WAVM das Land Steiermark bei der Organisation einer COVID-19-Impfaktion
für pädagogisches Personal in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Anmeldung für Impf-Ärzt:innen erfolgte ebenso wie die Impf-Anmeldung der Lebenspartner:innen von Schwangeren über die Website der WAVM. Im März fand das erste Live-Webinar zum Thema „Die Steiermark impft in Ordinationen“ statt. Um den massiven administrativen Aufwand für die Zuteilung von COVID-19-
Impfärzt:innen zu den steirischen Impfstraßen bewältigen zu können, ging im April die Terminbuchungsplattform STIMMT-IST als Online-Service der WAVM in Betrieb. Das in Kooperation mit Land Steiermark und dem Impfstraßen-Träger Privatklinik Kastanienhof weiterentwickelte Terminbuchungstool ermöglichte die EDV-basierte Konfiguration und Bereitstellung der Impfstraßentermine seitens der Betreiber und die voll-elektronische Buchung von Terminslots über die Online-Accounts seitens der angemeldeten Impfärzt:innen.
Perspektive: Ausbildung
Kleinere Fortbildungsveranstaltungen, etwa zur Impfadministration, hat die WAVM seit vielen Jahren angeboten und auch im Bereich Substitution war man beim Basismodul in Kooperation mit der Ärztekammer und dem Zentrum für Suchtmedizin, LKH Graz II, Standort Süd seit geraumer Zeit tätig. Seit Beginn des heurigen Jahres wurde diese Schiene aber mit sechs Fortbildungsveranstaltungen für Ordinationsassistent:innen ausgeweitet. Die Themen erstreckten sich unter anderem von Terminmanagement über Blutabnahme bis hin zu Kassenverrechnung und dem e-Impfpass. Die Planungen für 2024 sind bereits im Gange und es werden wieder sechs Fortbildungen für Gesundheitspersonal angeboten werden. Zudem wird die WAVM in Kooperation mit NEEDs (Netzwerk Demenz) und SALZ (Steirische Alzheimerhilfe) 2024 eine Fortbildungsreihe zum Thema „Vorsorge bei Demenz in Ordinationen“ anbieten. Primäre Zielgruppe sind Ordinationsassistent:innen, aber auch Ärzt:innen und psychosoziale Berufsgruppen. Bei Absolvierung von insgesamt sechs Fortbildungseinheiten – aufgeteilt auf drei Semester – wird ein Zertifikat verliehen und in Kombination mit dem ärztlichen Geriatriediplom wird die Ordination zu einer „Netzwerk-Demenz-Ordination“. Im Herbst 2024 wird auch der erste Ausbildungslehrgang nach MAB-AV für Ordinationsassistent:innen laufen und sich über 3 Semester erstrecken. Dabei wird sowohl das Basismodul als auch das Aufbaumodul Ordinationsassistenz berufsbegleitend angeboten. Es ist auch eine duale Ausbildung möglich. Der Lehrgang wird hybrid stattfinden – Webinare abends unter der Woche, die Präsenzveranstaltungen werden geblockt am Freitag stattfinden.
WAVM Milestones
1998: Start der operativen Tätigkeit: Adminstration und Dokumentation der Gratis-Masern-Impfung; Entwicklung des Mutter-Kind-Pass-Erinnerungsservices.
1999: Einführung des „Scheckheft Gesundheit für Mutter und Kind“.
2002: Start des Vorsorge-Magazins „Gesund und wie“.
2004: Steiermarkweite Studie zum Thema Schulimpfungen und Gesundheitsvorsorge im Unterricht.
2005: Elektronische Dokumentation der Schulimpfungen ab dem Schuljahr 05/06 mittels Laptop. Einrichtung eines Web-basierten Berichtsservers für Amtsärzt:innen zur laufenden Evaluierung der Schulimpfaktion. Medienkoffer„Impfung & Infektion“ für steirische Volks- und Sonderschulen.
2006: Erste Vogelgrippefälle in der Steiermark. Die WAVM übernimmt die Verteilung der Informationen der Fachabteilung Gesundheitswesen an Eltern, Schulen und Gemeinden in den betroffenen Bezirken.
Erste Impfinformationsveranstaltung „Impfung: Schutz oder Schaden? Schulmedizin & Homöopathie im Gespräch“ mit Prof. Diether Spork und Dr. Anton Rohrer.
2007: Steirische Pädagog:innen bewerten die Unterrichtsmaterialien der WAVM laut Umfrage mit „sehr gut“.
2011: Der 1. Grazer Impftag findet statt. Zur Verbesserung der Teilnahme am Gratisimpfprogramm im Schulalter und zur Schließung von Impflücken, beschließt die steirische Landesregierung eine Ausweitung des Impfangebotes für Schüler:innen im Pflichtschulalter. Die empfohlenen Auffrisch- und Nachholimpfungen im Schulalter können nun auch bei niedergelassenen Ärzt:innen gratis durchgeführt werden.
2012: Start der I.K.A., die allgemein- & suchtmedizinische sowie interdisziplinäre Betreuung für opiatabhängige Menschen anbietet.
2020-2022: Die WAVM unterstützt die Corona-Manger des Landes Steiermark, Ärztekammer und Ärzteschaft sowiedie Betreiber der steirischen Impfstraßen mit Apps, Tools und Informationsmaterialien für die Ordinationen.
2023: Ausbau der Fortbildungsschiene für Ordinationsassistent:innen und Konzeption einer Ausbildung zur/zum Ordinationsassistent:in.