AERZTE Steiermark 10/2023
Im magischen Dreieck von Medizin, Technik & Management
Die Pandemie hat die Labormedizin aus der Nische herausgeholt, wo sie zu Unrecht ihr Dasein gefristet hat: Rund 60 bis 70 Prozent aller klinischen Entscheidungen werden unter Berücksichtigung von Labordaten getroffen. Trotzdem wird dringend Nachwuchs gesucht – auch Quereinsteiger:innen sind willkommen.
Die Labormediziner:innen am Grazer Universitätsklinikum zählen zu den Held:innen der Pandemie: Binnen kürzester Zeit haben sie nicht nur die PCR-Testungen von einer Handvoll auf bis zu 800 pro Tag gesteigert, sondern auch intensiv an Prädiktoren für schwere Verläufe von COVID-19 geforscht. Für den heurigen Herbst erwartet sich Markus Herrmann, Professor für Klinische und Chemische Labordiagnostik an der Med Uni Graz und Leiter des Klinischen Instituts für Medizinische und Chemische Labordiagnostik KIMCL, zwar wieder einen substantiellen Anstieg an Diagnostik viraler Atemwegserkrankungen, aber eher keinen so ausgeprägten wie im letzten Winter, als die Bevölkerung nach zwei Lockdown-Wintern nur wenig Immunität aufwies. Nicht abschätzbar sei, so Herrmann, das durch neue COVID-Varianten verursachte Aufkommen.
„In Folge der Pandemie haben wir einen sehr gut ausgestatteten Gerätepark, der bei Bedarf auch den Ausfall eines Gerätes ohne Weiteres kompensieren kann. Die Hersteller der Geräte und Reagenzien sind mittlerweile ebenfalls gut aufgestellt und haben ihre Produktions- und Lagerkapazitäten deutlich verbessert“, so Herrmann. „Am ehesten kann es im Personalbereich zu Engpässen kommen, aber hier wird innerhalb des Klinikums sehr dynamisch ausgeholfen.“ Schon seit Anfang September steigt der Bedarf wieder merklich. „Gerade die Vierfachtests auf COVID, RSV, Influenza A und B werden von der Kinderklinik und den Notaufnahmen wieder vermehrt angefordert“, erklärt Eva Fritz-Petrin, Ausbildungsoberärztin am KIMCL.
Forschung gehört dazu
Die Pandemie hat neben strukturellen Verbesserungen im Bereich der technischen Ausstattung auch viel Erfahrung für die Mitarbeiter:innen in der Bewältigung von herausfordernden Situationen gebracht. War vor dem Ausbruch von SARS-CoV-2 die Verfügbarkeit der Ergebnisse von PCR-Testungen innerhalb von 24 Stunden eher die Ausnahme, dauert es jetzt bei dringlichen Fällen oft nur ein bis zwei Stunden.
Auch wenn es die Pandemie war, die Fachärztinnen und Fachärzte für Labormedizin vor den Vorhang geholt hat, lief schon davor kaum eine herausfordernde Patientenbetreuung ohne Labordiagnostik ab: In rund 60 bis 70 Prozent aller klinischen Entscheidungen fließen die Ergebnisse von Laboruntersuchungen ein; rund 7 Millionen davon führt allein das KIMCL in Graz pro Jahr durch.
Hier wird nicht nur auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik analysiert, sondern auch intensiv geforscht, mit Expert:innen aus 7 Nationen. Neben einer umfassenden Diagnostik, die für die Patientinnen und Patienten ebenso wertvoll ist wie für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, liefert die Labormedizin auch wertvolle Informationen an das Krankenhausmanagement, die oftmals in strategische Entscheidungen einfließen. So war das KIMCL während der Pandemie ein wichtiger Ansprechpartner für das Direktorium des Grazer LKH-Universitätsklinikums bezüglich des bestmöglichen Einsatzes der verfügbaren COVID-Tests.
Vielfalt begeistert
„Die Labormedizin stellt eine wichtige Schnittstelle zum Management sowie zu den Anforderern dar. Durch die einzigartige Verbindung von medizinischem, technologischem und analytischem Wissen kann sie steuernd auf die rationale Nutzung der labordiagnostischen Ressourcen einwirken und damit erheblich zur Effizienzsteigerung medizinischer Prozesse beitragen“, erläutert Martin Keppel, Facharzt am KIMCL. Er sieht sein Fach im magischen Dreieck von Medizin, Technik und Management angesiedelt.
„Es ist eines der spannendsten Fächer“, betont KIMCL-Leiter Herrmann. „Man hat mit allen anderen Fächern zu tun und benötigt deshalb ein breites Wissen. Das Spektrum des Fachs reicht unter anderem von hämatologischen Analysen, chemischen und immunologischen Untersuchungen bis zu molekularbiologischen Tests – um nur ein paar Beispiele zu nennen.“
Neben dem Wissen, wie Laborwerte zustande kommen und welche Aussagekraft sie in welchem Kontext besitzen, akkumulieren Laborfachärzt:innen auch ein entsprechendes Maß an technischem Know-how und arbeiten am Puls der Digitalisierung.
Oft ist es die Vielfalt, die Labormediziner:innen an ihrem Fach reizt. KIMCL-Leiter Herrmann wollte die klinische Medizin unbedingt mit Forschung und Technik kombinieren. „Die Labormedizin war für mich eine gute Möglichkeit, alle diese Bereiche zu verbinden.“ Was dabei auf ihn zukommen würde, wusste er als Sohn eines Laborleiters bereits.
Rufbereitschaft statt Nachtdienst
Neben den medizinischen Präferenzen sprechen aber auch private Gründe für eine Ausbildung in der Labormedizin: „Ich habe im Labor famuliert und diese Erfahrungen haben meine Liebe zur Labormedizin geweckt“, erzählt Eva Fritz-Petrin. „Nach dem Turnus war für mich aber auch der familiäre Aspekt wichtig. In der Labormedizin werden die Nacht- und Wochenenddienste durch eine Rufbereitschaft abgedeckt. Da sich die meisten Anfragen per Telefon beantworten lassen, ist dieses Fach sehr gut mit Kindern zu vereinbaren.“ Die Labormedizin ist vielleicht sogar das einzige Fach, in dem ein Arzt oder eine Ärztin im Homeoffice tätig sein kann – bei umgeleitetem Telefon und Zugriff auf die Labordaten sei immer wieder einmal ein Tag Arbeit von daheim aus möglich, erzählt Herrmann. Martin Keppel kam über die Endokrinologie, die sich ja stark auf Laboruntersuchungen stützt, und seinen dortigen Mentor zur Labormedizin.
Quereinstieg erwünscht
Weiterer Nachwuchs ist am KIMCL hoch willkommen. „Gerne auch Quereinsteiger aus den Bereichen Allgemeinmedizin, Mikrobiologie oder Pathologie, die eine neue Herausforderung oder einen familienfreundlicheren Job suchen“, betont Herrmann und verweist auf die Möglichkeit, innerhalb der KAGes eine zweite Facharztausbildung zu machen und schon während der neuerlichen Ausbildungsphase als Facharzt oder Fachärztin angestellt zu sein. Für Aufstiegsmöglichkeiten ist in den kommenden Jahren gesorgt, denn auch in der Labormedizin stehen sowohl in der Steiermark als auch im restlichen Österreich zahlreiche Pensionierungen an.
Foto: KK