AERZTE Steiermark 06/2023
Hate Speech ist keine Bagatelle
In Ordinationen und Spitälern hat sich Hate Speech gleichsam als „Long Covid“ gegen das Gesundheitspersonal über die Pandemie hinaus verstärkt. Das macht Gegenreaktionen notwendig.
Walter Hoch
Hier die über Jahrhunderte erkämpfte Redefreiheit, dort das Verbot gewisser Äußerungen zum Schutz vor Diskriminierung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nahm eine Differenzierung vor und ging primär von Artikel 17 der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Dieser untersagt einen Missbrauch der Rechte durch Handlungen, die den grundlegenden Wertungen der Konvention entgegenstehen.
Die Kardinalfrage lautet: Ist eine Äußerung nur abstoßend oder schockierend, aber noch zulässig, oder kann sie bereits Hass erwecken? Ist eine Kritik an einer ärztlichen Behandlung im Rahmen oder ist sie bereits rufschädigend?
Zu berücksichtigen sind dabei konkrete Umstände wie Ziel und Inhalt einer Äußerung, der Kontext, in dem diese getätigt wurde, wie öffentlich diese erfolgte. Urteile zu Hate Speech gibt es in Österreich kaum, am ehesten noch infolge des Verbotsgesetzes wegen Wiederbetätigung. Rassismus, religiöse Hate Speech, Verhetzung, Homophobie, Cyber Mobbing sind weitere Inhalte der Hassrede. Von der bloßen Beleidigung hebt sie sich dadurch ab, dass sie entweder über einen längeren Zeitraum wiederholt wird oder dass sie bereits bei einem Mal extrem ausfällig ist.
Wortgewalt
Am häufigsten wird verbale Gewalt ausgeübt. Beschimpfungen, beleidigende und aggressive Äußerungen sowie aus der Luft gegriffene Negativ-Bewertungen auf ärztlichen Online-Plattformen bilden das Hauptarsenal gegen Ärzt:innen. Dabei wird Hate Speech durch den niederschwelligen Zugang zum Internet gefördert. Sie geht über normale Frustrationsbekundungen, die rein affektierte, irrationale Handlungen darstellen, hinaus. Ihr geht es gezielt darum, über die Kommunikation, etwa auch über Bilder oder diskriminierende Memes, eine Form von gravierender menschlicher bzw. fachlicher Minderwertigkeit sowie einen sozialen Schaden herzustellen. Bei Ärzt:innen kann eine gehässige Bewertung und Beschreibung auf den entsprechenden Plattformen nicht nur ein Misstrauen bei den Patient:innen zum angegriffenen Arzt bewirken, sondern auch einen (finanziellen) Schaden verursachen.
Verwendet werden dafür sowohl ein ausgeprägter eigener Wortschatz als auch auf den ersten Blick harmlos wirkende Slogans wie „Wir zuerst“. In einem entsprechenden Kontext verwendet mutieren sie zu Schimpfwörtern. Beides zusammen bildet einen Schmähwortschatz.
Aggressive Patient:innen lassen sich vereinzelt zu gewalttätigem Handeln hinreißen. So erhielt ein Wiener Arzt von einem Patienten einen Schlag ins Gesicht, einem anderen wurde das Nasenbein gebrochen und ein Kardiologe wurde mit einem Messer angegriffen. In Spitälern sind vor allem die Bediensteten in den Notaufnahmen oder Notfallabteilungen, in der Psychiatrie und Geriatrie Aggressionen ausgesetzt. Vielfach liegt es daran, dass die Patient:innen verunsichert, angespannt und in einer Ausnahmesituation sind.
Im extramuralen Bereich sind die Kassenärzt:innen stärker betroffen. Aber auch hier richten sich, ähnlich wie im Spitalsbereich, die Aggressionen noch häufiger gegen Ordinations- und Sprechstundenhilfen. Im Herbst 2019 gaben in einer bundesweiten Umfrage im Auftrag der ÖÄK 71 % der teilnehmenden Ärzt:innen an, verbale Gewalt erfahren zu haben, 25 % waren gar körperlicher Gewalt ausgesetzt. Häufig entzündet sich ein Streit daran, dass ein:e Patient:in zu einem falschen Termin kommt, weil die Wartezeit zu lang und das Arztgespräch zu kurz war, er:sie eine andere Behandlung als die von Arzt:Ärztin vorgeschlagene will. 2022 klagten auch viele Patient:innen, dass sie nicht mit dem von ihnen gewünschten Impfstoff geimpft wurden, wofür sie den Arzt/die Ärztin verantwortlich machten, obwohl lange Zeit zentral zugeteilt wurde, welcher Arzt welchen Impfstoff erhielt.
Tödliche Hate Speech
Der hässlichste Fall von Hate Speech betrifft den bekannten Fall einer Allgemeinmedizinerin aus Seewalchen und engagierten Befürworterin der COVID-Impfung. Die Sprache der Angriffe ist ein Peak an Toxizität und Aggression. Der bislang nicht identifizierte User drohte sogar die Ärztin zu „schlachten“, zu „betäuben und in einem Keller (zu) foltern“. Weitere Impfgegner:innen drohten mit „Schrotflinte“ oder einer „tödlichen Impfdosis“. Die Ärztin betrieb einen hohen Aufwand um sich zu schützen. So gab sie einen hohen Betrag aus eigener Tasche für Sicherheitsmaßnahmen und privaten Polizeischutz aus.
Gegen eine ungerechtfertigte Negativ-Bewertung bei den Google-Rezensionen setzte sich ein Hautarzt zur Wehr. Er behandelte einen Patienten mit dem chronischen Leiden Offene Beine. Trotz intensiver Bemühungen des Arztes trat keine Besserung ein, worauf dieser den Patienten an die Hautklinik überwies. Dort wunderte sich der zuständige Arzt angeblich über die bisherige, mangelhafte Behandlung des Patienten. Dessen Tochter verfasste darauf eine haarsträubende, diffamierende Rezension auf Google. Der Hautarzt war sich keiner Schuld bewusst, hatte er doch ganz korrekt von sich aus den Patienten an die Klinik verwiesen. Der Hautarzt entdeckte daraufhin im Internet, dass diese Frau bereits mehrere andere Negativ-Rezensionen über andere nicht-ärztliche Themen ins Netz gestellt hatte. Es gelang ihm mit Hilfe der Ärztekammer € 500 „Schmerzensgeld“ für die falschen Anschuldigungen von dieser Frau zu erstreiten.
Gegenmaßnahmen
Wie man sich sonst noch gegen Hate Speech wehren kann, erläuterte Golrokh Haddad vom Verein Zara im Webinar „Gegen Hass im Netz“, das von Ärztekammer Steiermark veranstaltet wurde. Sie schlug folgende Abwehrkette vor: den Vorfall dokumentieren und Beweise sichern, eventuell einen Screenshot machen, das Datum festhalten und dann den Vorfall melden.
Um üble Nachrede schnell aus dem Netz löschen zu können, meldet der/die Betroffene den Fall an Zara. Die NGO verwendet daraufhin den Trusted-Flagger*-Status und kann sich mit einem Web-Formular direkt an YouTube wenden. Nach entsprechender Überprüfung kann YouTube die Hass-Rede gleich entfernen.
Im selben Webinar machte Hans-Peter Schume, Landespolizeidirektion Steiermark, Abteilung Prävention darauf aufmerksam, dass die Betroffenen oft mit einer zu großen Bestrafungserwartung gegenüber den Tätern ihre Anzeigen einbringen. Außerdem seien bei Klagseinbringung 280 Euro zu bezahlen. Daran zeigt sich einmal mehr, dass laut Netzforscherin Katarzyna Bojarska „eine Entscheidung zur gezielten Gegenrede (…) oftmals einen unverhältnismäßig hohen Aufwand und Ressourcenverbrauch“ im Vergleich zum einfachen Verfassen eines Hass-Posts erfordert.
Auf die allgemeinen Möglichkeiten von Counter Speech, dem Reagieren auf Hassreden durch positive Erwiderungen, geht Jana Lasser, Informatikerin auf der TU Graz, im PRofi-Treff ein.
Link: bit.ly/3PiAKoY
Hass im Netz-Webinar für Ärzt:Innen: Das Referat für Ärztliche Sondereinsätze der ÄK (Referentinnen Neshat Quitt & Kristina Köppel-Klepp) veranstaltete kürzlich ein Webinar zum Thema „Gegen Hass im Netz“. Tipps der Referierenden daraus sind auch hier nachzulesen.
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