AERZTE Steiermark 05/2023
Zarte Blätter, zäher Stängel
Die Gynäkologin Sandra Rabenstein ist naturverbunden aufgewachsen, aber erst mit 40 Jahren hat ihr Garten sie gefunden. Dort sammelt sie Wildkräuter statt sie wegzumähen, und was noch fehlt, setzt sie dazu. Zurzeit bereitet sie sich auf ihre Prüfung zur Kräuterexpertin vor.
Ursula Scholz
„Die Schafgarbe.“ Ohne zu zögern nennt Sandra Rabenstein ihr Lieblings-Heilkraut. „Sie ist einfach wunderschön mit ihren fein gefiederten Blättern und den vielen kleinen Blüten, die zusammen eine große Blüte bilden. Und sie vereinbart mir ihren zarten Blättern und dem ungemein zähen Stängel zwei sehr gegensätzliche Eigenschaften.“ Auch in Sandra Rabensteins Charakter vereint sich die Feinfühligkeit mit der Zähigkeit, Ziele zu verwirklichen. Und so zog das Arbeiterkind nach der Matura aus dem kleinen Heimatort Esternberg, 15 Minuten von Passau entfernt im Bezirk Schärding, nach Wien, um Medizin zu studieren. „Das hatten meine Freundin und ich auf der Wienwoche so beschlossen.“
Flair des Südens
Mit 23 Jahren zog es sie weiter, weg von der Großstadt, mehr in Richtung Natur. „Ich brauche immer wieder eine Veränderung, am schlimmsten ist für mich der Stillstand“, bekennt sie. „Und in mir hat sich die Sehnsucht nach der Natur wieder breitgemacht. Ich war als Kind gewohnt, barfuß aus der Haustür direkt auf die Wiese zu rennen.“
Da sie ihr Medizinstudium unbedingt beenden wollte, blieben ihr als neuer Wohnort Innsbruck und Graz zur Auswahl. Sie entschied sich für Graz: „Mir hat das Flair des Südens gefallen und die Leichtigkeit … Und es bietet die richtige Mischung zwischen Stadt und Land, man ist so schnell draußen im Grünen.“ Von einem Kräutergarten war sie da noch meilenweit entfernt.
Im Anschluss an das Studium startete sie mit in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis und landete nach einem kurzen Abstecher nach Gmunden als Turnusärztin im LKH Feldbach, um auf der dortigen Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe schließlich ihre medizinische Leidenschaft zu entdecken: die Arbeit mit und für Frauen.
Heute arbeitet sie dort als Oberärztin mit Schwerpunkt Urogynäkologie. Daneben betreibt sie seit kurzem eine Wahlarztpraxis in Graz, in die sie auch ihre Leidenschaft für die Kräuterheilkunde einbringt.
Naturbelassene Oase pflegen
Der Wunsch nach einem großen Garten schlummerte über die Jahre hinweg tief in ihr. „Ich bin schon als Kind lieber auf Bäume geklettert als mit Puppen zu spielen.“ Vor fünf Jahren nahm ihr Leben eine unerwartete Wende, als mit ihrem Partner auch ein weitläufiger naturbelassener Garten, eine Oase in Semriach, in ihr Leben einzog. Nicht nur Sandra Rabenstein darf sich dort ungehindert entfalten, auch die wilden Blumen und Kräuter, die neben den Gemüsebeeten wachsen, dürfen hier ungemäht groß werden. Neben der favorisierten Schafgarbe gedeihen auch andere typische „Frauenkräuter“ – ohne dass der Garten gewusst hat, dass er einmal in die Hände einer Frauenheilkundlerin fallen würde: Rotklee, Frauenmantel, Taubnessel, Gänsefingerkraut und Stinkender Storchschnabel. Kräuter, die nicht von selbst aufgehen, setzt Rabenstein einfach dazu. Natürlich unter Berücksichtigung ihrer bevorzugten Lebensbedingungen: den Frauenmantel an das feuchte Ufer des Biotops, das Hirtentäschel an trockenere Stellen.
„In der Gynäkologie gibt es viele Einsatzgebiete für heilende Kräuter, die noch vor einer klassischen ärztlichen Intervention eingesetzt werden können“, erklärt Rabenstein. „Mir war es aber auch immer wichtig, über eine fundierte schulmedizinische Ausbildung zu verfügen.“
Seriöses Wissen sammeln
Der wilde Garten hat in ihrem Leben den Wunsch keimen lassen, eine seriöse Ausbildung in Kräuterkunde zu absolvieren. Auch hier war der Zufall ein verlässlicher Wegweiser: Bei ihrer Internetrecherche stieß sie auf den Volksheilkundlichen Kräuterkurs nach Ignaz Schlifni des Vereins „Freunde naturgemäßer Lebensweise“. Der Kurs fand mittwochs statt, bis zur Ordinationseröffnung Rabensteins freier Tag. Die Ausbildung zur FNL-Kräuterexpertin umfasst mindestens 200 Unterrichtseinheiten und rund 300 Heimstunden und nach deren Absolvierung kann man eine Prüfung ablegen. Sandra Rabenstein möchte im August antreten. Von botanischen Grundkenntnissen über die Bestimmung und Heilwirkung von mindestens 400 Kräutern muss sie dazu auch über das Wissen verfügen, wie man die Kräuter korrekt sammelt, trocknet oder zu Seife, Salben und Tinkturen verarbeitet. Vom Frühling bis in den Herbst findet der Kurs im Freien statt, im Winter schon auch einmal in einer Schulküche – um die Kräuter zu verwerten.
Besonders gerne bereitet Rabenstein verschiedene Oxymele zu, also Varianten des traditionellen, wieder in Mode gekommenen Sauerhonigs. Da hat es sich gut gefügt, dass ihr Vater sich in der Pension den Traum der eigenen Bio-Imkerei erfüllt hat. Neben dem Honig für das Oxymel bezieht die Tochter auch das Wachs für Cremes gleich von der Familie. In der Familie und im Freundeskreis bleiben auch ihre Produkte, an eine wirtschaftliche Verwertung denkt sie nicht.
Lebensfreude als Tee trinken
Woraus würde Sandra Rabenstein einen Tee für mehr Lebensfreude zubereiten? „Auf jeden Fall gehört Ringelblume dazu, weil sie die Sonne speichert. Entspannender Hopfen, stärkende Brennnessel, Rosenblüten – und Minze für den Geschmack.“ Sie selbst kultiviert die mildere Apfelminze; manchmal baut sie auch einfach an, was ihr beim Pflanzentausch mit Gleichgesinnten in die Hände fällt, wie ein Stück Beinwell-Wurzel.
Trotz der gemeinsamen Naturverbundenheit sind die angehenden Kräuterexpert:innen sehr verschieden: Rabensteins Kurs leitet ein IT-Experte („Sehr strukturiert!“), die Teilnehmenden sind Student:innen ebenso wie Pensionist:innen und Berufstätige aller Branchen. „Für uns alle ist der Aufenthalt im Wald eine Wohltat“, so Rabenstein. Neben Wildkräutern sind nämlich auch die heimischen Baumarten Teil des Curriculums. „Mir war zuvor nicht bewusst, dass man beispielsweise die jungen Blätter der Linde roh essen kann oder die Spitzen der Hopfenranke gleich wie Spargel zubereiten …“
Kräuter, die nicht im eigenen Garten gedeihen, sammelt Sandra Rabenstein an den verschiedensten Orten, wo sie auf Ausflügen gerade hinkommt. „Um eine Vielfalt an Nährstoffen aufzunehmen, sollte man nicht nur die Erzeugnisse aus einem einzigen Garten essen. Andere Böden enthalten wieder andere Mineralien – und es lohnt sich auch, in verschiedenen Seehöhen zu ernten.“ Wie gut, dass zu ihrer Kräuter-Ausbildung auch eine zweitägige Exkursion auf die Tauplitz gehört hat.
Kopf und Bauch ausbalancieren
Und während die Saison für Rabensteins zweitliebste Heilpflanze, den Holler, gerade beginnt, blickt sie bereits auf einen produktiven Frühling zurück: Selbst zubereitetes Schafgarben-Oxymel, Beinwell-Salbe, Weidenrinden-Tinktur und Vogelmierensalbe stehen schon fertig in der Hausapotheke.
Während im Glas der Hollerblütenessig reift, reift auch ein großer Plan in Sandra Rabenstein: „Ich würde gerne irgendwann einmal aus der alten Tischlerei, die im Garten in Semriach steht, einen Kunst- und Kulturhof machen, wo zwischen den Kräutern und Kunstobjekten aus Ton eine Band spielt oder eine Lesung stattfindet. Für mich wäre das als Ergänzung zu meiner Arbeit die optimale Balance zwischen Kopf und Bauch.“ Wie gesagt: Nichts fürchtet sie mehr als den Stillstand.
Foto: beigestellt