AERZTE Steiermark 03/2023

 

„Wir brauchen einen schnellen Überblick“

Stefan Sabutsch ist Technischer Geschäftsführer der ELGA GmbH. Dass ein IT-System wie ELGA 100-prozentig verfügbar ist, hält er für unmöglich. Ausfälle im Jahr 2022 habe es aber immer nur punktuell gegeben.

 

AERZTE Steiermark: Was wollen Sie als ELGA-Geschäftsführer erreichen? Was ist Ihnen besonders wichtig?

Sabutsch: Ich habe die Stelle mit Beginn 2023 gemeinsam mit Frau Dr.in Edith Bulant-Wodak angetreten. Wir sind uns einig, dass der Nutzen von ELGA für die Anwender:innen und die Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen muss. Wir möchten vermitteln, warum es sinnvoll ist, als Ärztin oder Arzt ELGA zu verwenden, und auch neue und bessere Services anbieten.

 

Wie sind Sie als Biologe in den Bereich des medizinischen Datenmanagements gekommen? Gab es Schlüsselerlebnisse?

Ein Schlüsselerlebnis war meine Dissertation in den 1990ern an der Med Uni Graz. Ich führte eine vergleichende Studie zu den Effekten mehrerer Plasmaersatzstoffe durch und musste für die Auswertung tausende einzelne Laborwerte erheben und in eine Datenbank überführen – damals war das noch eine rein manuelle Angelegenheit, bei der ich mir beim Abtippen der Zahlen eine leichte Sehnenscheidenentzündung zugezogen hatte. Direkt nach dem Ende des Studiums bin ich in eine IT-Firma eingetreten, die ein Laborinformationssystem herstellte, mit dem man die Einzelwerte aus den Laborgeräten in einen Laborbefund überführen und elektronisch an die Auftraggeber zurückübermitteln konnte. Dieselben Laborparameter waren bei jedem unserer Kunden unterschiedlich betitelt und jedes Labor hatte eigene Regeln für die Gruppierung und Reihung der Parameter. Der elektronische Austausch vor Labordaten war daher immer mühsam und für jedes Sender-Empfänger-Paar neu zu definieren. Ich war daher Feuer und Flamme, als ich gehört habe, dass mit ELGA Laborbefunde vereinheitlicht werden sollen, und habe mich gleich zu Beginn für ELGA engagiert.

 

In den Pandemiejahren 2020 bis 2022 rückte der Datenschutz in den Hintergrund. Jetzt wird der Datenschutz wieder wichtiger. Wie geht die ELGA GmbH mit dieser Veränderung um?

Die Wichtigkeit des Datenschutzes ist aus meiner Sicht nicht in den Hintergrund gerückt. Viel eher wurden die Bedenken gegenüber dem Datenschutz in Relation zu den drängenden Herausforderungen der Pandemie niedriger priorisiert. Für die ELGA GmbH ist das Thema Datenschutz seit jeher ein zentrales und grundsätzliches Thema.

 

Die jüngste Änderung des Gesundheitstelematik-Gesetzes hat die Regeln wieder verschärft. Dass 90 Tage Zugriffsmöglichkeit der Standard sind, macht vielen Ärztinnen und Ärzten Sorge. Sollten die Patientinnen und Patienten nicht intensiver darauf hingewiesen werden, dass sie diese Frist auf ein volles Jahr verlängern können?

Mit der Novelle des GTelG im Jahr 2022 wurde die Standard-Zugriffszeit von 28 Tagen auf 90 Tage verlängert – so gesehen hat sich die Situation verbessert. Was sich mit Beginn 2023 geändert hat, ist die Tatsache, dass wieder die e-card gesteckt werden muss. Wenn Sie sich erinnern: Zu Beginn der Pandemie wurde auf das Stecken der e-card in den Ordinationen verzichtet, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Eine individuelle Verlängerung des Zugriffsrechtes für die Ärztin oder den Arzt des Vertrauens durch die Patientinnen und Patienten ist eine gute Sache und kann auch die „Kundenbindung“ verbessern.

 

Es ist für Nichtfachleute gar nicht so einfach, zwischen e-Impfpass, e-Medikation und e-Rezept zu unterscheiden. Wie erklären Sie es einer Ärztin, einem Arzt ohne IT-Expertise?

Das ist sogar für Fachleute nicht ganz einfach zu verstehen. Den Unterschied macht die unterschiedliche gesetzliche Grundlage. Für ELGA-Anwendungen, also e-Medikation und e-Befund, gilt ein „Opt-Out“: Der Teilnahme kann jederzeit widersprochen werden. Der e-Impfpass ist ein zentrales Impfregister, das die ärztliche Dokumentationspflicht für Impfungen erfüllt – daher ist eine Abmeldung vom e-Impfpass nicht möglich. Das e-Rezept wiederum ist eine rein administrative Anwendung zum Ersatz des Papier-Kassenrezeptes, die nichts mit ELGA zu tun hat und parallel zur e-Medikation aufgebaut wurde. Das elektronische Rezept muss trotz ELGA-Opt-Out funktionieren.

 

Die ELGA GmbH ist eine kleine Firma mit einem großen Namen. Sollten Sie nicht mehr technische Möglichkeiten selbst haben, ohne auf andere angewiesen zu sein?

Tatsächlich besteht das Team der ELGA GmbH nur aus 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die äußerst motiviert und kompetent sind. Unsere Aufgabe besteht in der Konzeption der IT-Architektur und der Harmonisierung der Standards für den Datenaustausch sowie der Koordination der Umsetzungsmaßnahmen für die elektronische Gesundheitsakte. Zusätzlich tragen wir dafür Sorge, dass die einzelnen technischen Komponenten reibungslos zusammenarbeiten. Der Erfolg der ELGA GmbH beruht auf der integrierenden und vernetzenden Funktion, die sie zwischen dem Bundesministerium, den Ländern, der Sozialversicherung, der Ärzteschaft, den IT-Systemherstellern und vielen anderen ausfüllt. Auch wenn wir uns als Softwareentwicklungsfirma aufstellen würden, wären wir für die erfolgreiche Umsetzung neuer Projekte auf die Mitarbeit aller genannten Stakeholder angewiesen.

 

Gesundheitsminister Rauch meint, dass Gesundheitsdaten vermehrt zur Steuerung verwendet werden sollen. Ist Österreich im Umgang mit persönlichen Gesundheitsdaten zu streng?

Persönliche Gesundheitsdaten sind grundsätzlich streng zu schützen, und das befürworten wir ganz klar. Auf der anderen Seite stellen pseudonymisierte Gesundheitsdaten einen wertvollen Schatz für Forschung und Public Health dar. Man könnte sogar sagen, dass es unethisch wäre, diese Daten nicht im Sinne der Öffentlichkeit nutzenstiftend zu verwenden.

 

Im ELGA-Nutzerbeirat sind die Gesellschafter der größte Block. Widerspricht das nicht dem Prinzip eines „Nutzer“-Gremiums?

Unsere Gesellschafter sind auch Betreiber von Gesundheitseinrichtungen – etwa die Landeskrankenanstalten oder von der Sozialversicherung betriebene Einrichtungen. Darüber hinaus sind im Nutzerbeirat alle Gesundheitsdiensteanbieter sowie Patientenvertretungen und Selbsthilfe-Einrichtungen repräsentiert.

 

Wie hoch war die Anzahl der Betriebsbeeinträchtigungen 2022? Liegt die Verfügbarkeit von ELGA jetzt bei 100 Prozent?

Kein IT-System erreicht 100-prozentige Verfügbarkeit – schon gar nicht ein vernetztes System wie ELGA, wo viele zentrale und lokale Komponenten zusammenspielen. Erfreulicherweise können wir berichten, dass die zentralen Services im Jahr 2022 zu mehr als 99,9 Prozent verfügbar waren. Punktuell gab es aber kurzfristige Ausfälle bei dezentralen Anbindungsstellen.

 

Welche Erkenntnisse haben Sie aus den Ausfällen von ELGA bei Spitzenbelastungen – wie in Tirol 2021 – gezogen?

Um eine noch bessere Verfügbarkeit des Gesamtsystems zu gewährleisten, haben wir an einigen Stellschrauben gedreht und auch den Betrieb der zentralen Services optimiert. Wir bleiben nicht stehen und arbeiten permanent an der Verbesserung.

 

Wurden alle 47 Punkte, die zur Erhöhung der Anwenderfreundlichkeit mit den Ärzt:innen vereinbart wurden, bereits erfolgreich umgesetzt? An welcher Nachschärfung arbeiten Sie jetzt – stehen noch große Brocken zur Umsetzung an?

Wir haben dazu eine fixe Steuerungsgruppe mit unseren Systempartnern – Bund, Länder, Sozialversicherung – eingerichtet, welche die Bearbeitung der Maßnahmen vorantreibt. Diese Maßnahmenliste umfasst unterschiedlichste Themen wie Technik, Anwenderfreundlichkeit, rechtliche Grundlagen, Information und Schulung etc. Die Verantwortung der Umsetzung liegt bei verschiedenen Organisationen. Manche Themen betreffen laufende Aufgaben, wie Qualitätssicherung. Einige Themen konnten von der ELGA GmbH selbst gelöst werden, etwa Verbesserungen in der Visualisierung von Befunden. Bei anderen Themen sind wir in der Umsetzung auf Arzt-Softwarehersteller oder unsere Systempartner angewiesen. Der nächste große Brocken wird die Anbindung der niedergelassenen Labors und Radiologen sein sowie die Verfügbarmachung der Bilddaten über ELGA.

 

Wie entwickelt sich die Opt-out-Rate? Wie viele Personen haben aus ELGA hinausoptiert? Wie haben sich die Zahlen im letzten Jahr entwickelt?

Die Opt-out-Anzahl schwankt seit Inbetriebnahme von ELGA zwischen 250.000 und 300.000, das entspricht ungefähr 3 Prozent der möglichen teilnehmenden Personen. Derzeit gibt es ca. 283.000 Personen, die sich von ELGA abgemeldet haben. Der Höchststand war kurz vor der Pandemie, durch die kontaktfreie Medikamentenverschreibung und die Abgabe der Selbsttests über die e-Medikation sind die Zahlen gesunken.

 

Die letzte ELGA-Geschäftsführung wurde vom Gesundheitsminister wegen ihrer warnenden Worte zur technischen Umsetzung einer Impfpflicht gescholten. Befürchten Sie, durch die Politik ebenfalls in Ihrer Tätigkeit eingeschränkt zu werden? Falls ja, wo könnte es da Reibungsflächen geben?

Ich bin davon überzeugt, dass wir, also Frau Dr.in Edith Bulant-Wodak und ich, mit den politischen Entscheidungsträger:innen einen guten Konsens finden werden. Selbstverständlich kann es zu bestimmten Themen unterschiedliche Herangehensweisen geben, was auch gut ist und bilateral diskutiert werden muss. Einschränkungen durch die Politik erwarte ich nicht, da wir gemeinsam mit unseren Eigentümern, zu denen auch der Bund zählt, an Themen und Projekten arbeiten und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Notwendige Entscheidungen werden mehrheitlich im Konsens getroffen.

 

Was sind die größten technischen Herausforderungen, vor denen die ELGA gerade jetzt steht?

Ein großes Thema ist die Möglichkeit, über ELGA auf Bilddaten der Radiologie und anderer bildgebender diagnostischer Bereiche zugreifen zu können. Zukünftig möchten wir noch viele weitere nützliche Anwendungen zu ELGA hinzufügen. Dafür muss die technische Grundlage geschaffen werden. Das heißt aber auch, dass wir im Hintergrund die Infrastruktur umbauen müssen. Wir stimmen diese Konzepte gerade mit unseren Eigentümern ab.

 

Die elektronische Gesundheitsakte zählt nicht unbedingt zu den Herzensangelegenheiten der Österreicher:innen. Die e-Medikation hingegen hat sich in Zeiten der Pandemie große Sympathien erworben …

ELGA hat durch den e-Impfpass und die e-Medikation in den letzten Jahren hohe Bekanntheit und Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht. Auch die Verwendung von ELGA ist in der Corona-Zeit deutlich angesprungen, weil es plötzlich Use-Cases gab, die für die Menschen in der Pandemie hilfreich waren wie z. B. die Verordnung von Wohnzimmer-Tests über die ELGA-Anwendung e-Medikation.

 

Was könnte noch zur Imagepflege der elektronischen Gesundheitsakte getan werden, um ihr den Anstrich eines „Überwachungsstaates“ zu nehmen?

Die Umfragen zeigen, dass ELGA von einer großen Mehrheit nicht so negativ gesehen wird. Vor allem Personen, die das Gesundheitssystem häufiger in Anspruch nehmen oder sich um Prävention und Gesundheitsförderung kümmern, erkennen die Vorteile von ELGA und sind eindeutig Befürworter. Es gibt allerdings eine generelle Tendenz, dass das Vertrauen in die Politik und öffentliche bzw. staatliche Institutionen sinkt.

 

Sie sind international tätig und haben den Vergleich: Sind die Österreicher:innen besonders IT-skeptisch? Haben Sie – falls ja – eine Erklärung dafür?

Es geht weniger um die Skepsis gegenüber der IT, sondern gegenüber der elektronischen Verarbeitung der persönlichen Daten durch öffentliche Institutionen. Da sind die Menschen in den nördlichen Staaten wie Finnland, Schweden oder Estland viel entspannter.

 

Wo sehen Sie noch digitale Lücken im österreichischen Gesundheitswesen, insbesondere solche, die die ELGA GmbH füllen sollte?

Derzeit sind eher punktuelle Informationen verfügbar – was wir aber brauchen, ist die Möglichkeit, einen schnellen Überblick über alle relevanten Gesundheitsinformationen der Patientinnen und Patienten zu erhalten. ELGA kann sich zu diesem Instrument entwickeln. Dazu müssen die wichtigsten Informationen aus der gesamten Behandlungskette möglichst einheitlich erfasst und über ELGA verfügbar gemacht werden. Dazu gehört auch der wichtige Bereich der Wahlärzt:innen, Fachärzt:innen, Institute, Ambulanzen … Das ist noch ein langer Weg.

 

Ist die Patientenverfügung ein Thema für ELGA? Falls ja, was ist für wann geplant?

Ja, das ist bereits eingetaktet, das soll ein eigenes zentrales Service mit einem Register werden, damit es Klarheit und Rechtssicherheit für die Nutzer:innen gibt. Außerdem wollen wir diese Anwendung unabhängig vom Opt-out-Status einer Person anbieten, denn bei einem Opt-Out werden ja alle Daten in ELGA gelöscht. Nach aktuellem Plan können wir die e-Patientenverfügung ab 2024 anbieten, sofern die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür aktualisiert werden können.

 

Die Fragen kamen von Walter Hoch, Martin Novak und Ursula Scholz.

 

Kaum Nutzer im Nutzerbeirat

Offizielle Erklärung: Die Gesellschafter betreiben auch Einrichtungen. Nur haben die selbst Sitz und Stimme im beratenden Gremium.

In einem Nutzerbeirat sind vor allem die Nutzer vertreten. Sollte man meinen. Für den ELGA-Nutzerbeirat scheint das nicht zu gelten: Das ist die einzige Erklärung dafür, warum die Ärzteschaft, die ja die bei weitem wichtigste Gruppe unter den Nutzern ist, dort einer Übermacht an Eigentümervertretern gegenübersitzt.

42 Mitglieder hat das Gremium. Acht Personen gehören der Gruppe der „Kammern und deren Fachverbänden sowie Interessenvertretungen der Nutzer“ an. Tatsächliche Nutzervertreter sind aber selbst hier die Minderheit. Die bei Weitem größeren Gruppen sind die Gesellschafter der ELGA GmbH. Da sind die Krankenkassen (die über den Dachverband der Sozialversicherungsträger auch Gesellschafter sind) und die Krankenhausbetriebsgesellschaften im Eigentum der Bundesländer noch gar nicht mitgezählt.

Die Ärztekammer hat das Problem kürzlich thematisiert: „Ein Nutzerbeirat, der zum überwiegenden Teil aus Eigentümer-Vertretern besteht … wird seinem Namen nicht gerecht“, heißt es in einem Schreiben. Sie sieht in dem Ungleichgewicht auch eine „Gefährdung der Weiterentwicklung in den funktionalen Applikationen der ELGA und eHealth-Anwendungen“. „Unsere Gesellschafter sind auch Betreiber von Gesundheitseinrichtungen“, rechtfertigt Stefan Sabutsch im AERZTE Steiermark-Gespräch die Zusammensetzung des Gremiums. Was dabei unerwähnt bleibt, ist, dass diese Gesundheitseinrichtungen selbst im Nutzerbeirat sitzen und die Eigentümer als Sprachrohr also gar nicht benötigen.

„Der ELGA-Nutzerbeirat hat die Aufgabe, die Geschäftsführung der ELGA GmbH in technisch-organisatorischen bzw. in medizinisch-fachlichen Angelegenheiten, die Einführung, Umsetzung und Weiterentwicklung der ELGA betreffen, zu beraten und Empfehlungen zu den von der Geschäftsführung vorgestellten Maßnahmen abzugeben. Er ist auch berechtigt, von sich aus Themen im Zusammenhang mit ELGA aufzugreifen und seiner Beratungstätigkeit zugrunde zu legen“, definiert die Geschäftsordnung die Aufgaben dieses Beirats. Und betont, dass die Beratungsergebnisse des Nutzerbeirates und deren Beschlüsse Empfehlungscharakter haben: „Sie entfalten weder für die Gesellschafter noch für die Geschäftsführung der ELGA GmbH bindende Wirkung.“

Also nicht nur, dass die „Nutzer“ in der Minderheit sind, deren Wort hat auch nicht allzu viel Gewicht.

 

Fotos:  ZTG GmbH, Wilke

Grafik: Adobe Stock

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