AERZTE Steiermark 01/2023

 

Mehr Kassenstellen? Zu kurz gedacht

Die Voraussetzung für die begründete Schaffung neuer Kassenstellen ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen (auch) für bestehende. Sonst sind neue Stellen keine Stärkung, sondern nur eine Verdünnung. So würden auch die Spitäler nicht entlastet werden können. Darüber besteht weitgehende Einigkeit.

Die Rechnung ist auf den ersten Blick einfach: Im Jahr 2012 hatte die Steiermark 1.208.696 Einwohner:innen und 987 kassenärztliche Stellen. Im Jahr 2022 waren es 1.252.922 Einwohner:innen und 974 Stellen. Also kamen 2022 auf eine Kassenstelle um 62 potenzielle Patient:innen mehr als ein Jahrzehnt zuvor.

Also: Mehr Kassenstellen braucht das Land.  Diese Forderung ist nicht neu und auch nicht wirklich falsch.

Nur so einfach wie die Rechnung ist die Wirklichkeit nicht. Erstens wächst die Bevölkerung nicht in allen Regionen. „Vor allem der steirische Zentralraum wird ein starkes Plus verzeichnen können, wohingegen die peripheren Regionen an Bevölkerung verlieren werden“, heißt es dazu vom Land Steiermark.

Dazu kommt, dass diese einfache Rechnung (hauptberufliche) Wahlärzt:innen außer Acht lässt. Berücksichtigt man auch diese, verbessert sich die Versorgungslage ganz klar. Das heißt, es gibt im extramuralen Bereich einen zunehmenden Kassenärztemangel, aber weniger einen generellen Ärztemangel.


Befreiung von Einschränkungen

Der Schaffung zusätzlicher Kassenstellen (auch) zur Spitalsentlastung müsse eine Befreiung des Kassensystems von einer Vielzahl limitierender Einschränkungen vorangehen, ist der Obmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Ärztekammer Steiermark, Vizepräsident Dietmar Bayer, überzeugt.

Hier setzen auch die steirischen Fachgruppenobleute an: „Die Entlohnung muss so gestaltet sein, dass ich genug Zeit für die Behandlung meiner Patienten habe, sodass ich mein Geld nicht über die Masse machen muss“, sagt etwa Elisabeth Sochor-Micheler, augenärztliche Fachgruppenobfrau.


Gegen Limite und Degressionen

Ein besonderes Ärgernis sind Limite (Leistungen, die nur bei einem begrenzten Prozentsatz der Behandlungsfälle verrechnet werden dürfen) und Degressionen (je öfter eine Leistung erbracht wird, desto geringer ist der Tarif).

Ein besonders absurdes Beispiel der jüngsten Zeit für eine limitierte Leistung ist der CRP-Schnelltest, der rasch die Bestimmung der Ursache einer Infektion möglich macht und damit die Grundlage für die richtige Behandlung möglich macht.


Kritik an Leistungskatalogen

Auch die derzeitigen Leistungskataloge gehören aktualisiert. So verlangt etwa der Fachgruppenobmann Dermatologie, J. Thomas Kainz, einen „vernünftigen, fair honorierten OP-Gruppen-Katalog“, um das Abdriften „in Richtung Kosmetik und Schönheit“ zu bremsen.


Ähnliche Forderungen kommen auch von anderen Fachgruppen.

Dazu kommt der dringende Wunsch nach Harmonisierung der Tarife und Leistungen, wie sie auch in den weitgehend abgeschlossenen ÖGK-Tarifverhandlungen angesprochen wurden, deren Ergebnis aber noch die Zustimmung des ÖGK-Verwaltungsrates braucht.

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Stärkung der extramuralen Versorgung und damit auch zur Entlastung der Spitäler ist damit die vordringliche Maßnahme – darüber besteht Einigkeit. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, vakante Kassenstellen besetzen zu können.

Die gezielte Schaffung neuer Kassenstellen als zweiter Schritt ist aus Sicht der meisten Fachgruppenverantwortlichen anzustreben. Sinnvoll erscheint sie aber nur, wenn die Basis für auch wirtschaftlich starke Ordinationen gelegt ist.


Warum sind wir nicht alle Wahlärzte?

Der steirische Fachgruppenobmann Gynäkologie, Bernhard Poetsch, formuliert es so: „Besonderheiten samt Limiten und Degressionen lassen alle jungen und alteingesessenen Kolleginnen und Kollegen im Kassenvertrag die Frage stellen: Warum sind wir nicht  Wahlärzte?“


EVO‘s

Immer wieder taucht auch der Wunsch nach von niedergelassenen Ärzt:innen betriebenen Erstversorgungsordinationen (EVO) unmittelbar vor jedem Krankenhauseingang auf. Aus Sicht von Bayer seien aber drei Bedingungen zu erfüllen, damit eine EVO tatsächlich hilfreich ist.

Sie darf rechtlich nicht mit dem Spital verknüpft sein. Die Patientinnen und Patienten sind anzuhalten, die EVO tatsächlich zu nutzen. Das diagnostische und therapeutische Leistungsspektrum muss zur Aufgabe passen.


Neue Form der Ärztesuche?

Gehen Ärztinnen und Ärzte in Pension, stellt sich die Frage der Nachfolge. Bisher reichte es, diese Nachfolge einfach auszuschreiben – damit die Stellen schnell nachbesetzt werden. Diese „goldenen Zeiten“ sind vorbei. Vor allem in kleinen Gemeinden (aber nicht nur) findet sich immer öfter gar keine Nachfolge – zumindest gibt es nur sehr wenige Bewerbungen. Wenn aber die extramurale Versorgung Lücken bekommt, ist das auch eine schlechte Nachricht für Spitäler und die dort Tätigen. Sie, die unter großem Druck stehen und die medizinische Betreuung aus vielerlei Gründen in der gewohnten Intensität kaum mehr aufrechterhalten können, werden zusätzlich belastet.

Auch Primärversorgungseinheiten (PVE), in der Steiermark salopp „Gesundheitszentren“ genannt, sind nur dann eine Lösung, wenn sich genug (ärztliche) Betreiberinnen und Betreiber finden – und wenn ihnen nicht zu viel zugemutet wird. Und das ist oft der Fall.

Sie sollen Spitäler ersetzen, die Notversorgung gewährleisten, an den Tagesrandzeiten (aber nicht nur) geöffnet haben und sozialmedizinische Aufgaben stemmen … aber Netzwerke sind als Alternative zu „Zentren“ zwar gesetzlich vorgesehen, werden aber praktisch links liegen gelassen. 

„Wir müssen die medizinische Versorgung neu denken“, sagt der Präsident der Ärztekammer Steiermark, Michael Sacherer. Nicht nur er warnt vor schnellen Aktionen und „einfachen“ Lösungen.

Wichtig ist dafür eine intensive Zusammenarbeit aller Player, verbunden mit der Bereitschaft, an vielen Schrauben zu drehen und von Zeit zu Zeit auch über den eigenen Schatten zu springen.

Aber Zusammenarbeit erfordert eine gewisse Demut und die Fähigkeit, gelegentlich zurückzustecken, die anderen leben zu lassen. Aber genau das ist nicht so einfach, wenn jeder nur gewinnen möchte, Fehler nur Fehler sind, solange sie nur jemand anderer  macht.

CRP-Schnelltest freigeben

Der CRP-Schnelltest dient dazu, um akut die Ursache einer Infektion zu diagnostizieren. Damit ist er in der aktuellen Infektionswelle besonders wichtig. Nur ist er leider streng limitiert, allerdings nur bei der ÖGK, nicht aber bei der BVAEB und der SVS.

In zwei Schreiben hat die Ärztekammer Steiermark nun darauf gedrängt, die Limitierung zumindest vorübergehend bis Ende März 2023 aufzuheben.

Damit wäre gewährleistet, dass umgehend erkannt werden kann, ob es sich um eine bakterielle oder virale Infektion handelt. Ob also etwa Antibiotika helfen oder eine andere Therapie angebracht ist. Damit ist auch gesichert, dass es in Zeiten zunehmender Antibiotika-Resistenzen und aktueller Liefer-Engpässe bei Medikamenten zu keinen Ungenauigkeiten kommt.

 

Fotos: Adobe Stock (3)

Illu: Adobe Stock; Montage: Conclusio

Grazer Straße 50a1
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