AERZTE Steiermark 11/2022
Hausmittel, Halsschwellung und SGLT-2-Hemmer
Die drei diesjährigen Gewinner*innen des 12. Raiffeisen-Landesbank-Steiermark-Turnusärzt*innen-Preises haben ihre Erfahrungen von der Hausarztordination bis zur Notaufnahme geschildert. Mit 16 Einreichungen wurde die „Pandemieflaute“ wieder beendet.
16 engagierte Ärztinnen und Ärzte – 15 spannende Fälle – ein hochkarätiges Triumvirat als Jury – und drei Preisträger*innen. So lassen sich die Eckdaten des 12. Raiffeisen-Landesbank-Steiermark-Turnusärzt*innen-Preises, der von der Raiffeisen Landesbank und der Ärztekammer für Steiermark ausgelobt wird, zusammenfassen. Vergeben wurden 1.000, 750 und 500 Euro an Preisgeld für die drei besten Fallberichte; die Gewinner*innen wurden nach alter Tradition erst im Rahmen der Grazer Fortbildungstage (zu denen alle Einreichenden freien Eintritt hatten) bekanntgegeben.
Die Einreichenden mussten zum Stichtag 1. Juni 2022 in der Steiermark Arzt oder Ärztin in Ausbildung (Fachausbildung oder Allgemeinmedizin) gewesen sein oder die Ausbildung vor maximal einem Jahr beendet haben. Aus den Einreichungen wählte die Jury, bestehend aus Gerhard Wirnsberger, dem Fortbildungsreferenten der steirischen Ärztekammer, Alissa Florian, der Obfrau des Sektionsausschusses Turnusärzt*innen, und Peter Sigmund, dem Vorsitzenden der Steirischen Akademie für Allgemeinmedizin, dann die drei Preisträger*innen.
Tragikomik und Akribie
Der erste Preis wurde Marie-Christin Klöckl zugesprochen, die einen Fall (in beiderlei Wortsinn) aus der Hausarztpraxis geschildert hat. Hinter dem allgemeinen Titel „In einer Hausarztordination“ verbirgt sich die tragikomische Darstellung einer langwierigen Diagnostik: ein 80-jähriger Patient mit rezidivierendem Drehschwindel, der labordiagnostisch, kardiologisch, neurologisch und von Seiten der HNO durchgecheckt wurde, stets ohne auffälligen Befund.
Als ihm in Folge eines stationären Aufenthaltes verboten wurde, Maschinen zu bedienen oder ein Auto zu lenken, konnte er keinen Konnex zum Obstpflücken auf dem Baum herstellen und zog sich beim Fallen Prellungen sowie eine LWK-1-Fraktur zu. Mit Push-Mieder und auch sonst relativ geknickt konsultierte der Patient wieder die Hausarztordination, wo mit ihm noch einmal Punkt für Punkt akribisch die Medikationsliste durchgegangen wurde.
Beiläufig ergänzte er „ja und dann noch das, was mir meine Frau da so an Vitaminen gibt. So irgendwas, was vor Corona schützt“. Das Irgendwas erwies sich als Artemisia-Gabe, in der alternativmedizinischen Szene vor allem von Impfskeptikern konsumiert. „Zu den häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen zählen Reaktionen des Zentralnervensystems wie Schwindel oder Kopfschmerzen (…)“, hält Klöckl in ihrem Fallbericht fest.
Seit dem Kindergarten
Für die Preisträgerin war es das erste Mal, dass sie sich um den Turnusärztepreis beworben hat, aufmerksam wurde sie durch die letztjährige Gewinnerin, eine frühere Arbeitskollegin.
Der Arztberuf war für Klöckl ein Kindheitstraum, im Kindergartenalter entstanden, als ihre Schwester ins Krankenhaus musste und dort alles so spannend erschien. „Danach wollte ich Ärztin werden, um andere Menschen gesund zu machen.“ Und sie präzisiert: „Ich wollte immer eine Ärztin sein, zu der die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten kommen, weil sie wissen, dass sie ernst genommen werden und Hilfe bekommen.“
Klöckl hat ihren Turnus mittlerweile beendet, will vorerst als Wohnsitzärztin arbeiten und „was die Zukunft bringt, wird sich zeigen“. Das Preisgeld hat sie in eine Fortbildung und einen Wintermantel investiert.
Unübliche Symptomkombination
750 Euro Preisgeld konnte Anna Mangge lukrieren, für ihr Fallbeispiel, in dem eine unklare Halsschwellung in Kombination mit einer beidseitigen Mastitis zu einer Krebsdiagnose geführt hat.
Mangge verfolgte den Fall einer erst 23-jährigen Patientin, auf die sie in der EBA am LKH traf, weiter bis hin zu deren Chemotherapien. Die junge Frau war zuvor gesund gewesen; eine vierwöchige Sinusitis, intermittierende Dyspnoe und eine einseitige Halsschwellung waren ihr Krankheitsbild. Die von der Hausärztin verordnete Antibiose verlief ohne Besserung, dafür entwickelte sich zusätzlich die Mastitis. In die EBA kam die Patientin wegen einer Thrombose der Vena jugularis interna, zu deren Abklärung eine CT-Angiographie gemacht wurde, wobei eine große Raumforderung entdeckt wurde. Der histologische Befund bestätigte das vermutete Lymphom. Nach zehn Zyklen Chemotherapie befindet sich die Patientin derzeit in Remission.
„So viele spannende Seiten“
Auch die Trägerin des zweiten Preises hat über ihre persönliche Bekanntschaft mit den letztjährigen Preisträgerinnen vom Turnusärztepreis erfahren. Sie hat ebenfalls zum ersten Mal an diesem Bewerb teilgenommen. Mangge, „in den Endzügen meines Turnus“, arbeitet zurzeit auf der Urologie am Universitätsklinikum Graz. „Konkrete Zukunftsträume habe ich nicht, die Medizin hat so viele spannende Seiten und ich lasse mich immer wieder gerne aufs Neue mitreißen“, erklärt sie. „Das Wichtigste für mich ist, eine gute Ärztin zu sein beziehungsweise zu werden, um meinen Patient*innen das bestmögliche Outcome zu gewährleisten.“ Da für Mangge die Allgemeinmedizinprüfung unmittelbar bevorsteht, investiert sie ihr Preisgeld in Lernunterlagen, den Rest möchte sie sich für die nächste Stromrechnung aufbewahren.
Notfall auf den zweiten Blick
Der einzige Mann unter den Preisträger*innen (die 2:1-Verteilung entspricht auch der Geschlechterverteilung bei den Einreichungen) ist Bernhard Kowalski, den Leser*innen von AERZTE Steiermark auch als Leiter jenes Teams im Medizinercorps bekannt, das die heurige Europameisterschaft der Rettungsdienst-Organisationen gewonnen hat. Er traf auf einen Patienten, dessen Vitalparameter zunächst nicht auf einen Notfall schließen ließen.
Die massiven Mikrozirkulationsstörungen (Mottling-Score von fünf) mit einer zentralen Rekapillierungszeit von sechs Sekunden allerdings schon. Nach Ausschluss einer Pulmonararterienembolie wurde der Patient auf die Intensivstation transferiert, wo gleich darauf die makrozirkulatorische Kompensation versagte und er intubations- und katecholaminpflichtig wurde. Der Blutzucker des Diabetes-2-Patienten lag im Normbereich; der Harn war frei von Ketonkörperchen. Die Durchsicht der Akte machte den Turnusarzt jedoch auf eine verlängerte perioperative Nüchternperiode aufmerksam, die bei Einnahme von SGLT-2-Inhibitoren zu einer lebensgefährlichen euglykämen Ketoazidose führen kann. „Aufgrund der steil ansteigenden Anzahl an Verschreibungen von SGLT-2-Hemmern ist in den kommenden Jahren mit einer signifikanten Zunahme von Patient*innen mit euglykämer Ketoazidose zu rechnen“, warnt Kowalski.
Preisgeld fürs Studium
Für Bernhard Kowalski war es die zweite Einreichung zum Turnusärztepreis und sein Preisgeld fließt in sein berufsbegleitendes Masterstudium an der Queen Mary University of London: Emergency and Resuscitation Medicine. Kowalski hat im Rettungsdienst schon früh seine Leidenschaft für die Notfallmedizin entdeckt und möchte auch nach Ausbildungsabschluss in der Anästhesie-, Intensiv- und Notfallmedizin tätig sein. Zudem will er seine diesbezügliche Forschung und Lehre fortsetzen, mit Schwerpunkt Crisis Resource Management und Simulation.
Neues Jahr – neue Chance
Im kommenden Jahr wird der 13. Raiffeisen-Landesbank-Steiermark-Turnusärzt*innen-Preis vergeben; der Stichtag wird wieder der 1. Juni sein. Die genaue Einreichfrist und die Details zur Ausschreibung werden unter http://www.med.or.at veröffentlicht; der Fallbericht muss fristgerecht als pdf an turnusaerztepreis@aekstmk.or.at versandt werden.
Foto: Schiffer