AERZTE Steiermark 09/2022
 

Vier von zehn leiden chronisch

Die Gesundheitsstudie „Austrian Health Report“ zeigt, dass es mit der Selbsteinschätzung der Gesundheit und Zufriedenheit in Österreich wieder aufwärts geht – die Pandemie aber durchaus ihre Spuren hinterlassen hat. Der regelmäßige Arztbesuch ist für viele wichtig.

Ursula Scholz
Martin Novak

71 Prozent der Menschen in Österreich stufen ihren Gesundheitszustand laut „Austrian Health Report“ als gut oder sehr gut ein. Das ist eine gute Nachricht, aber sie wird schlechter. Denn es gibt seit der letzten 2019 durchgeführten IFES-Untersuchung im Auftrag von Sandoz eine starke Verschiebung nach unten: Vor drei Jahren stuften noch 36 Prozent ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „sehr gut“ ein, zuletzt waren es nur noch 19 Prozent. Analog dazu stieg die Zahl jener, die ihre Gesundheit als nur „gut“ betrachten, von 39 auf 52 Prozent. „Der subjektive Gesundheitszustand wird somit in Summe verhaltener beurteilt als vor der Corona-Pandemie“, fassen die Studienautor*innen des renommierten Instituts für Empirische Sozialforschung das Resultat zusammen. Konstant blieb dagegen der Prozentsatz jener, die ihren eigenen Gesundheitszustand als „schlecht“ (4 bzw. 5 Prozent) oder gar „sehr schlecht“ (ein Prozent) bewerten.

„Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen“, konstatierte IFES-Projektleiter und Geschäftsführer Reinhard Raml bei der Präsentation der Studie.

 

Steiermark im Mittelfeld

Auffällig sind erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. So betrachten 25 Prozent der Vorarlberger*innen ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „sehr gut“, aber nur 11 Prozent der Burgenländerinnen und Burgenländer. Der Mittelwert (2,1 bis 2,3) ist dagegen über die Bundesländer sehr ähnlich. Die Steiermark liegt im guten Mittelfeld (siehe Grafik). Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass die Selbsteinschätzung der Gesundheit nur begrenzt aussagekräftig ist. Und dass zwar insgesamt 1.006 Menschen befragt wurden, die anteilige Zahl der Befragten in den kleinen Bundesländern aber nur im zweistelligen Bereich liegt.

Abgefragt wurde aber auch die Einschätzung des physischen und des psychischen Gesundheitszustandes. Dass sich Jüngere körperlich gesunder fühlen als Ältere, ist wenig erstaunlich. Bei der Einschätzung des psychischen Gesundheitszustandes ist der Unterschied zwischen Jung und Alt ähnlich hoch wie bei der körperlichen Gesundheit. Nur dreht sich die Bewertung um 180 Grad. Sprich: Ältere (60+) fühlen sich psychisch bzw. seelisch deutlich gesünder als 18–29-Jährige.

Bei selbst beobachteter Depressivität, Angst und Beunruhigungszuständen gibt nahezu ein Drittel der Jungen an, in letzter Zeit häufig darunter gelitten zu haben, während dies nur zehn Prozent der Älteren erwähnen.

Dazu passt, dass weit mehr Junge als Ältere laut Studie das Gefühl haben, durch die Pandemie etwas versäumt zu haben, wie Raml anmerkte. Lediglich fünf Prozent der Generation 60+ benennen dieses Gefühl mit „trifft sehr zu“ (dazu kommen zehn Prozent „trifft eher zu“), bei den unter 30-Jährigen sind es 19 beziehungsweise 22 Prozent. Nicht einmal jede/r zehnte Junge hat das Gefühl, nichts verpasst zu haben.

„Man muss sich vor Augen halten, dass eben bei den jüngeren Menschen in Relation zur Lebenszeit gesehen die Pandemie viel länger dauert, als das für ältere Semester der Fall ist“, gab Raml zu bedenken.

 

Männer fühlen sich gesünder

Männer geben in allen drei Punkten (allgemeiner, physischer/körperlicher und psychischer/seelischer Gesundheitszustand) bessere Werte an als Frauen. Ob diese Angaben nur Angabe sind oder es sich um eine realistische Selbstbeurteilung handelt, sagt die Studie nicht aus. Höhere Bildung (unterschieden wurde nur zwischen Matura und keine Matura) und höheres Einkommen führen ebenfalls zu einer besseren Selbsteinschätzung der Gesundheit.

Gleichzeitig geben aber 41 Prozent an, eine „dauerhafte Krankheit“ oder ein „chronisches Leiden“ zu haben. Die Zahl steigt naturgemäß mit dem Alter: Bei den 18–29-Jährigen sind es „nur“ 34 Prozent, bei der Altersgruppe 60+ sind es bereits 49 Prozent.

14 Prozent sagen, sie würden deswegen eine regelmäßige Behandlung in Anspruch nehmen, gar 41 Prozent sagen, sie würden deswegen regelmäßig Medikamente nehmen. Bei Männern sind es nach Eigenangaben sogar 47 Prozent, bei Frauen vergleichsweise geringere 35.

Starke Schwankungen gibt es hier auch zwischen den Bundesländern: In Vorarlberg werden nach Angaben der Befragten nur 8 Prozent regelmäßig behandelt, im Spitzenreiter-Bundesland Burgenland dagegen 22 Prozent, also fast dreimal so viel. Die Steiermark bewegt sich mit bescheidenen 9 Prozent nahe Vorarlberg.

Abgefragt wurde auch die Erwartung bezüglich der Entwicklung des Gesundheitszustandes. Rund ein Viertel (26 Prozent) ist „für die nähere Zukunft“ eher oder sogar sehr pessimistisch. Dafür geben im Schnitt 37 Prozent an, seit den Erfahrungen der Pandemie nun stärker auf ihre Gesundheit zu achten, wobei dieser Wert bei den unter 30-Jährigen mit 41 Prozent am höchsten ausfällt.

 

Regelmäßige Arztbesuche

Von den Menschen mit chronischen Leiden gehen zwei Drittel auch regelmäßig (zumindest vierteljährlich) zum Arzt. 20 Prozent tun das zumindest einmal pro Monat, 9 Prozent mehrmals pro Monat und 3 Prozent sogar wöchentlich.

Diejenigen, die ihren eigenen Gesundheitszustand als schlecht oder gar sehr schlecht einstufen, gehen zu 80 Prozent „regelmäßig“ zum Arzt. Bei den Chroniker*innen mit sehr gutem Gesundheitszustand sind es nur 43 Prozent. Allerdings gehen 9 Prozent der Menschen mit chronischen Leiden, die ihren Gesundheitszustand trotzdem als „sehr gut“ bewerten, mehrmals wöchentlich zum Arzt, während das nur 4 Prozent derjenigen tun, die ihren Gesundheitszustand mit schlecht oder sehr schlecht angeben.

Gleichzeitig geben viele an, durch die Pandemie in ihrer Behandlung eingeschränkt worden zu sein.

Ein knappes Drittel aller Befragten – nicht nur der Chroniker*innen – gibt an, in der Pandemie aus Gründen der Vorsicht nicht zum Arzt gegangen zu sein, auch wenn sie sich krank gefühlt haben oder ein gesundheitliches Problem aufgetreten ist. Weil Lockdown war oder sie einen Arztbesuch als zu riskant eingestuft haben.

28 Prozent haben weniger Routine- und Vorsorgeuntersuchungen vornehmen lassen als vorher, 20 Prozent erhielten notwendige Behandlungen und Therapien nicht oder seltener und neun Prozent geben an, von einer pandemiebedingten OP-Verschiebung oder -Absage betroffen gewesen zu sein.

Eine COVID-19-Infektion hatten zum Befragungszeitraum im Mai und Juni dieses Jahres knapp die Hälfte der Befragten (46 Prozent) am eigenen Leib erfahren, acht Prozent sogar bereits mehrmals.

Besonders hoch ist der Anteil der Genesenen bei den unter 30-Jährigen mit 60 Prozent.

Von jenen, die sich mit dem neuen Virus infiziert haben, gibt als Selbsteinschätzung gut jede/r Fünfte (22 Prozent) an, unter Long COVID gelitten zu haben oder noch zu leiden. Jede/r Zehnte von jenen, die sich angesteckt hatten, erwähnt, dass bei ihm/ihr ein Arzt oder eine Ärztin die Diagnose Long COVID gestellt hat. Long COVID sei damit „kein „Massenphänomen“, aber ein „nicht zu vernachlässigendes Risiko“, klassifizierte Raml.

 

Allgemeine Lebenszufriedenheit (wieder) hoch

Erhoben wurde auch die Beurteilung der Lebenszufriedenheit insgesamt: „In einer globaleren Betrachtungsweise, der Zufriedenheit mit der Lebenssituation insgesamt, beschreiben sich die Österreicherinnen und Österreicher – nach einem deutlichen Rückgang im ersten Corona-Jahr 2020 – aktuell wieder annähernd so zufrieden wie vor der Pandemie. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich auch für die finanzielle und familiäre Situation, die hauptsächliche Tätigkeit (also Beruf, Schule, Haushalt etc.) und die Sozialkontakte.“

In all diesen Lebensbereichen ist die Zufriedenheit im Vergleich zu 2020 wieder (deutlich) gestiegen und spricht für eine Normalisierung bzw. ein Sich-Arrangieren mit bzw. trotz Pandemie“, lautet die IFES-Analyse. Die positive Beurteilung enthält allerdings einen Wermutstropfen: In allen abgefragten Lebensbereichen zeigen sich die unter 30-Jährigen am unzufriedensten.

 

Wissensfragen: eher schlecht

Der Aufraggeber der Studie – das Pharmaunternehmen Sandoz – wollte als Hersteller von Nachbau-Arzneimitteln auch das Wissen der Österreicherinnen und Österreicher über Generika und Biosimilars kennen. Berauschend ist es nicht. So antworten auf die Frage, ob sie wüssten, was Generika sind, nur 43 Prozent mit einem eindeutigen Ja. Was Biosimilars sind, wissen gar nur 4 Prozent „sicher“. Und das, obwohl Nachbauprodukte seit vielen Jahren von den Krankenkassen beworben werden …

Der Trend zu regionalen Produkten hat offenbar auch den Arzneimittelmarkt erreicht: Fast zwei Drittel der Befragten vertrauen den in Österreich und der EU hergestellten Medikamenten mehr als jenen von internationalen Märkten, beispielsweise aus Asien.

In den Altersgruppen ab 45 Jahren, also unter jenen, die wesentlich mehr Medikamente benötigen als die Jungen, setzen fast drei Viertel deutlich mehr Vertrauen in heimische und europäische Arzneimittel. Damit – und mit den erlebten pandemiebedingten Lieferverzögerungen und -ausfällen bei teils überlebenswichtigen Medikamenten – ist zu erklären, dass mehr als 8 von 10 Befragten laut Raml einen Ausbau der österreichischen und europäischen Produktionsinfrastruktur wollen, auch in dem Bewusstsein, dass dadurch höhere Produktionskosten entstehen. Es gäbe eben „großes Vertrauen“ in österreichische und europäische Medikamente, begründet der Meinungsforscher das Ergebnis. Die Pandemie sei zwar nicht die Ursache dieser Einschätzung, habe aber als „Brennglas“ das Bild verstärkt.

Durch entsprechende Förderung sei nicht nur die Infrastruktur für die europäische Medikamentenproduktion zu schaffen, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Arzneimittelforschung hier angesiedelt sei: Die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die heimische Wertschöpfung war den Befragten diesbezüglich am wichtigsten.

Für diesen Herbst ist eine zweite Befragungswelle geplant, für die auch die Expertise von Ärztinnen und Ärzten angezapft werden soll.

 

Fotos: IFES/Wilke, Adobe Stock Charts: Conclusio

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