AERZTE Steiermark 05/2022
„Vieles ist noch ungeklärt“
Die tatsächliche oder vermutete Verbannung der Bücher des Arztes Hans Kloepfer hat viel medialen Staub aufgewirbelt. Damit bekam auch das Kloepfer-Buch und die AERZTE Steiermark-Kurzserie des Medizinhistorikers und Mediziners Harald Salfellner unerwartete Aktualität. Wir haben mit dem Autor gesprochen.
Als Sie Ihr Buch über Hans Kloepfer recherchiert und verfasst haben, konnten Sie mit einem so großen medialen Echo auf das Kloepfer-Thema in den steirischen Medien rechnen?
Ich hatte angenommen, dass Kloepfers 150. Geburtstag 2017 ein größeres Medieninteresse hervorrufen würde – das war dann nicht der Fall. Da aber Kloepfer alle paar Jahre wegen seiner NS-Vergangenheit durch den Kakao gezogen wird, war irgendwann wieder mit einem Rauschen im Blätterwald zu rechnen. Dabei geht es aber vor allem um politische Motive, ein irgendwie sachliches Interesse an der Gesamtpersönlichkeit mit allen ihren Schwächen und Stärken gibt es kaum. Es ist schon erstaunlich, welche Emotionen der weststeirische Landarzt immer wieder entfesselt.
Aus der Sicht des Medizin-Historikers: Wer war Hans Kloepfer?
Diese Frage habe ich mir oft gestellt und trotz intensiven Studiums seiner Lebensquellen – Briefe, Dokumente, literarische Zeugnisse – wage ich keine abschließende Wertung. Lassen wir einmal Kloepfers politische Irrungen in seinen späten Jahren zur Seite, die ich in meinem Buch ja ausführlich dargestellt habe. Dr. Kloepfer alias „Knöpfl“ erscheint in den Quellen als gütiger, bescheidener, hilfsbereiter und humorvoller Mensch, der über alle Parteigrenzen hinweg beliebt war. In seinen Werken zeigte er immer Verständnis für das brüchige und bedrohte Leben der Arbeiter und Kleinbauern. Er spendete großzügig, wenn Not am Mann war, und behandelte die Ärmsten ohne Honorar. Ein hartherziger Chauvinismus oder ein feindseliger, hasserfüllter Ton findet sich weder in seinen Werken noch in seinen Briefen. Dass Kloepfer beizeiten grantig sein konnte, wie man auf manchen Fotos bestätigt zu sehen meint, dürfte wohl auch mit seiner chronischen Überlastung zusammenhängen, und mit seiner Gichterkrankung schon in jungen Jahren.
Hans Kloepfer war Arzt, Dichter und Nazi. Können wir Nachgeborenen jemanden, der noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs gestorben ist, überhaupt gerecht beurteilen?
Eine sehr berechtigte Frage! Der ungeheure Mentalitätswandel seit jener Zeit ist in jedem Falle zu berücksichtigen, wenn wir uns schon zu Urteilen hergeben. Die Bilder in meinem Buch zeigen eine exotische, zuweilen archaische Welt, die mit unserer Wohlfühl-Plastikwelt nicht mehr übereinstimmt. Eine Bewertung der Welt von gestern mit den Normen von heute ist immer problematisch, wiewohl das bei Kloepfer meist nicht beachtet wird. Wer Kloepfers Vorstellungen und Haltungen verstehen will, muss sich zunächst mit dem Wertekodex seiner Zeit vertraut machen. Dazu ist jedoch mehr erforderlich als ein Blick in die Wikipedia.
Dürfen oder müssen wir gar die dunklen Flecken in unserer Geschichte löschen?
Nein, wir sollen die dunklen Flecken der Geschichte nicht löschen, sondern studieren und begreifen, damit wir unser Dasein besser gestalten und bewältigen. Wichtiger als die Umbenennung unliebsamer Straßennamen wäre die Einsicht, dass auch unsere Zeit voller dunkler Flecken ist.
Was hat Sie bei Ihrer Befassung mit dem Thema besonders überrascht?
Vielleicht ist es Kloepfers menschliche Grundeinstellung, die mich am meisten überrascht und berührt hat, weil von ihr selten die Rede ist. In diesem Zusammenhang ist etwa die Schule von Rothwein zu erwähnen, ein Sozialprojekt für Bergbauernkinder, die oft nicht einmal festes Schuhwerk hatten für den winterlichen Fußweg in die Schule. Kistenweise schickte Kloepfer Schuhe und Kleidung, die er von seinem Gehalt gekauft hatte. Oder seine Anteilnahme für die Arbeiter beim großen Bergarbeiterstreik in Köflach anno 1933, als die ausgemergelten Knappen wochenlang unter Tag ausharrten. Selbst die Stadtbürger von Köflach hatten Verständnis für die Streikenden, aber die Frauen der Arbeiter wurden mit Nahrungsmitteln und Suppentöpfen an den Stolleneingängen zurückgehalten und durften nicht zu ihren Männern. Da bald einige der „Grubensklaven“ erkrankten, ihren „Kampfplatz“ aber um keinen Preis verlassen wollten, stieg der schon behäbige Kloepfer hinab zu den Männern, betreute sie medizinisch und sprach ihnen Mut zu. An späteren Festtagen feierten die Grubenarbeiter dann ihren „Knöpfl“ als einen der ihren, was Kloepfer mit besonderer Rührung hinnahm.
Gibt es unter Historikern ein einhelliges Urteil über Kloepfers politische Verirrungen oder sind noch Fragen offen?
Über Kloepfers NS-Sympathien sind sich Historiker heute einig. Vieles ist aber immer noch ungeklärt – etwa sein inniges Verhältnis zu dem Volkskundler Viktor von Geramb, der von den Nazis aus seiner Universitätsposition entlassen wurde. Wie konnte das Freundschaftsband zwischen NS-Befürworter und NS-Geschädigtem erhalten bleiben? Wir müssen damit leben, dass Geschichtsschreibung eben immer Stückwerk ist.
Sein Grabstein in Köflach weist kein Kreuz auf, bei seiner Beerdigung war kein Pfarrer anwesend. War Kloepfer ein Kirchenhasser wie Hitler?
Keineswegs – Seine Frau Martha war eine gläubige Kirchgängerin, er selbst freundschaftlich verbunden mit dem Köflacher Dechanten Stampfer und mit dem katholischen Geistlichen Rochus Kohlbach, der gleich nach dem Anschluss in Mauthausen interniert wurde. Über viele Jahre behandelte er unentgeltlich die Franziskanermönche von Maria Lankowitz, was auch im Klosterbuch dankend verzeichnet wurde. Die Beerdigung Kloepfers 1944 stand dann aber ganz in der Regie der Partei, einschließlich Kränzen von Hitler und Goebbels. In einem seiner Gedichte hatte er sein Begräbnis vorausgeahnt – die Wirklichkeit sah dann ganz anders aus.
Mit dem Gedicht „Da Ruß“ hat Kloepfer einen milden, liebenswürdigen Kriegsgefangenen gezeichnet – was ist das Besondere an diesem Gedicht?
Als Kloepfer dieses Gedicht 1915 oder 1916 schrieb, waren bereits weit über eine Million Österreicher an der Ostfront durch russische Waffen gefallen. Trotzdem verfasste er dieses Lied über einen gefangenen Russen und zeigte damit die Absurdität des Krieges auf. Der warmherzig gezeichnete Fremde steigt mit einem steirischen Buben zum Zahnreißen nach Eibiswald hinab und trägt dann am Abend den müde gewordenen Kleinen behutsam wieder heim. Sowas inmitten eines Weltkrieges über den Gegner zu veröffentlichen, dazu gehörte Mut und persönliche Größe. Der spätere Führer hatte an solchen Reimen von milder Menschlichkeit sicher keine Freude.
Der Medizinhistoriker Harald Salfellner hat das Kloepfer-Buch „Aber Arzt bin ich geblieben – Bilder aus dem Leben Hans Kloepfers“ verfasst und in AERZTE Steiermark in drei Teilen die Person Kloepfers dargestellt.
Foto: Beigestellt