AERZTE Steiermark 04/2022
Bildung macht (Impf)-Quote
Kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Bildung als zentraler Faktor für die Impfbeteiligung und Menschen aus 7 Ländern, die bessere Impfquoten haben als die in Österreich Geborenen. Eine Statistik-Austria-Studie zeigt auch überraschende Erkenntnisse.
Ursula Scholz
Martin Novak
Mehr als 70 Prozent der in Österreich lebenden Menschen mit dem höchsten Bildungsabschluss (Universität, Akademie) haben einen COVID-19-„Geimpft“-Status. Unter den Pflichtschulabsolvent*innen sind es nur 65,5 Prozent. Das ergibt eine Impfquotenuntersuchung der Statistik Austria, deren jüngste Daten Anfang März veröffentlicht wurden. Bildung begünstigt also die Impfquote. Der Faktor Bildung schlägt auch auf andere soziodemografische Merkmale durch. Erwerbstätige sind mit höherer Wahrscheinlichkeit geimpft als nicht Erwerbstätige. In Branchen mit einem hohen Anteil gut Gebildeter ist die Impfbeteiligung höher als in denen mit einem geringen Anteil.
Frauen und Männer sehr ähnlich
Nur sehr geringe Unterschiede gibt es dagegen bei den Impfquoten von Männern und Frauen – trotz aller falschen Gerüchte über Impfung und Fertilität. Das mag zwar in den (sozialen) Medien ein großes Thema sein, der Einfluss auf die Impfbeteiligung ist aber offenbar eher gering. Über alle Altersgruppen hinweg macht der Unterschied gerade 0,1 Prozent aus. Auch in den relevanten Altersgruppen bleibt er im niedrigen einstelligen Bereich.
Generell sind in Österreich Lebende, die auch in Österreich geboren wurden, zu einem höheren Anteil geimpft (71,1 Prozent) als solche, die zwar in Österreich leben, aber in einem anderen Land geboren wurden. Aber für Menschen aus sieben untersuchten Ländern gilt das nicht: nämlich für den Iran, China, Tschechien, Deutschland, Afghanistan, die Türkei und Italien.
Eine gewisse Unschärfe gibt es bei diesen Daten: Viele, die im Geburtsland geimpft wurden, sind im österreichischen Impfregister nicht eingetragen (siehe dazu das unten stehende Interview). Die Fachleute der Statistik Austria vermuten auch die Impfskepsis in einigen Ländern als Ursache.
Was jedenfalls auffällt, ist die teils sehr hohe Differenz zwischen der Impfquote laut WHO im Geburtsland und unter den in Österreich Lebenden aus diesen Ländern. Im Falle Afghanistans beträgt sie mehr als 60 Prozentpunkte, bei Syrien immerhin mehr als 55 Prozent. Aber auch bei Bosnien und Herzegowina (36,5 Prozent), dem Kosovo, Nordmazedonien und Bulgarien (jeweils um die 25 Prozentpunkte) ist sie beträchtlich.
Was noch auffällt: Bei nur fünf Ländern – Italien, China, Ungarn, Deutschland und Polen – ist die dortige Impfbeteiligung laut WHO-Daten höher als jene der in Österreich Lebenden, die in diesen Ländern geboren wurden.
Die Messdaten der Statistik Austria stellen also manche – auch hartnäckige – Impfmythen in Frage. Und nicht für jede minutiös erhobene Zahl gibt es sofort eine eingängige Erklärung. Was die Fachleute im Interview sagen, stimmt aber jedenfalls: Korrekt ausgewertete Daten bieten hohe Erkenntnispotenziale.
„Kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei den Impfquoten“
Statistik Austria erstellt seit Dezember 2021 Statistiken zum Geimpft-/Genesen-Status der österreichischen Bevölkerung . Die Analysen wurden vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beauftragt. Der Zugang zu den Daten aus dem Nationalen Impfregister Österreich und dem Epidemiologischen Meldesystem wurde durch die Novelle des Epidemiegesetzes vom 28.05.2021 ermöglicht, die die statistische Aufbereitung und wissenschaftliche Erforschung der COVID-19-Krisensituation vorsieht. Die Beauftragung der Analyse des Geimpft-/Genesen-Status nach soziodemographischen Hintergrundvariablen erfolgte im Dezember 2021. Wir haben mit dem fachstatistischen Generaldirektor Tobias Thomas und Projektmanagerin Regina Fuchs von der Statistik Austria gesprochen.
Was hat Sie an Ergebnissen der Studie besonders überrascht?
In der öffentlichen Debatte wurde vor unserer Analyse häufig eine vermeintlich niedrigere Impfquote unter Frauen thematisiert. Gerade in sozialen Medien kursierten nicht wissenschaftlich fundierte Berichte über einen möglichen Einfluss der Impfung auf die Schwangerschaft. Bei näherer Analyse der Daten hat sich gezeigt, dass insgesamt kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei den Impfquoten bestehen. Relevante Geschlechterunterschiede bestehen lediglich in der Bevölkerungsgruppe der 20- bis 39-jährigen nicht aktiv Erwerbstätigen, in der Frauen häufig in Mutterschutz oder Elternkarenz sind und tatsächlich eine niedrigere Impfquote aufweisen.
Auch zeigt sich ein Rückgang der Impfquoten bei sehr alten Personen. Dass die Impfquoten stark mit dem Alter zunehmen, da ältere Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit schwerer an COVID-19 erkranken, war aus der Medienberichterstattung über die sogenannten vulnerablen Gruppen bereits bekannt, zumal sich gerade Ältere auch frühzeitiger impfen konnten. In sehr hohem Alter, ab 84 Jahren, gehen die Impfquoten jedoch wieder zurück. Bislang wurde angenommen, dass ein höherer Anteil Genesener bei älteren, insbesondere in Pflegeheimen wohnhaften Personen den Rückgang der Impfquoten erklärt. Diese Hypothese konnte allerdings durch die Verknüpfung der Impf- und Genesungsdaten nicht gestützt werden. Es zeigt sich zwar, dass der Anteil der Personen, die über ein aktives Genesungszertifikat verfügen, bei in Anstaltshaushalten wohnhaften Personen weitaus höher ist, in Summe steigen aber in hohem Alter die Anteile jener, die weder ein aktives Impf- noch ein Genesungszertifikat haben.
Es gibt offenbar einen starken Zusammenhang zwischen formalem Bildungsgrad und Impfbeteiligung. Was ist Ihre Erklärung dafür?
Je höher der Bildungsabschluss, desto höher die Impfquote. Das zeigt sich bei Männern und Frauen über alle Altersgruppen. Dabei verfügen Personen mit höherer formaler Bildung über mehr Einkommen, haben bessere Chancen am Arbeitsmarkt und sind auch im Durchschnitt gesünder. Auch die Sterblichkeit wird maßgeblich von der Bildung beeinflusst. So haben in Österreich Frauen mit Hochschulabschluss eine um etwa vier Jahre höhere Lebenserwartung als Frauen, die maximal die Pflichtschule abgeschlossen haben. Bei Männern sind diese Unterschiede sogar noch ausgeprägter und liegen bei etwa sechs Jahren. Aber selbst wenn man das Einkommen oder den Erwerbsstatus statistisch kontrolliert, also diesen Einfluss herausrechnet, bleibt der Einfluss des formalen Bildungsgrades auf die Impfquote nachweisbar.
Erwerbstätige sind zu einem höheren Grad geimpft als nicht Erwerbstätige. Was können dafür die Gründe sein?
Natürlich hängt die Teilnahme am Erwerbsleben auch vom formalen Bildungsabschluss ab: So sind Personen mit niedriger formaler Bildung öfter von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen mit höherer formaler Bildung. Da die Impfquoten nach Bildung variieren, geht damit auch eine Auswirkung auf die Impfquoten von Nicht-Erwerbstätigen einher. Aber auch wenn man den Einfluss des Erwerbsstatus um den Bildungseffekt statistisch bereinigt, besteht unter aktiv Erwerbstätigen eine merklich höhere Impfquote als unter Nicht-Erwerbstätigen.
Eine mögliche Erklärung hierfür ist die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz. Wiewohl der Einfluss dieser Maßnahme aus den vorliegenden Daten nicht direkt nachgewiesen werden kann, ist dieser plausibel. Allerdings können auch das soziale Umfeld und die Interaktion im direkten Erwerbsumfeld einen Einfluss auf die Impfbereitschaft haben.
Ebenfalls zu bedenken ist, dass Personen in höherem Erwerbsalter oftmals aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Der zugrundeliegende Gesundheitszustand und die Auswirkung von Vorerkrankungen auf die Impfquoten können aufgrund der uns vorliegenden Daten nicht analysiert werden.
Die Branche spielt offensichtlich auch eine wichtige Rolle. In der Energiewirtschaft und bei Information und Kommunikation sind jeweils mehr als 80 Prozent geimpft, ebenso bei Freiberuflern bzw. technischen Dienstleistungen, der Öffentlichen Verwaltung und Erziehung und Unterricht. In der Land- und Forstwirtschaft und am Bau sind nur 70 Prozent oder weniger geimpft. Wie lässt sich das begründen?
Nicht nur die Impfquoten unterscheiden sich voneinander, auch die unterschiedlichen Ansteckungswahrscheinlichkeiten innerhalb der Branchen sind wichtige Erkenntnisse aus unseren Analysen. So gibt es beispielsweise mehr Personen in den Branchen Gesundheitswesen, Bau oder Beherbergung und Gastronomie, die im vergangenen halben Jahr von einer COVID-19-Infektion betroffen waren.
Das heißt, Personen, die in Branchen mit Kontakt zu Patientinnen und Patienten oder Kundinnen und Kunden arbeiten, können eine Infektion weniger gut vermeiden. Erwerbstätige, die hingegen besser auf das Arbeiten von zu Hause ausweichen können, sind tendenziell weniger oft direkt von COVID-19 betroffen. Zudem beeinflussen die Bildungsstruktur und die Herkunft der Beschäftigten die Branchenergebnisse. Zum Beispiel verfügen Beschäftigte in der Baubranche im Durchschnitt über einen niedrigeren Bildungsabschluss und kommen öfter aus dem Ausland als beispielsweise jene in der Information und Kommunikation. Diese Effekte schlagen sich auf die durchschnittlichen Impfquoten pro Branche nieder.
Branchen, die stark im Fokus der öffentlichen Debatte waren, sind der Gesundheitssektor sowie Beherbergung und Gastronomie. Die Impfbeteiligung dort liegt aber nur im Mittelfeld. Ist das nicht erstaunlich?
Gerade in der Beherbergung und Gastronomie spielen sicher der formale Bildungsstand und auch das Herkunftsland eine nicht unwesentliche Rolle. So verfügen rund vier von fünf Beschäftigten in der Beherbergung und Gastronomie maximal über einen Lehrabschluss bzw. den Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule. Zum Vergleich: unter den 20- bis 64-jährigen aktiv Erwerbstätigen sind es insgesamt nur rund 65 %.
Zudem gehören die Beherbergung und Gastronomie zu den Wirtschaftssektoren mit dem höchsten Anteil an ausländischen Beschäftigten, deren niedrigere Impfquote auch einen Einfluss auf die Gesamtimpfquote hat. Die Motive, warum sich Personen impfen lassen oder auch nicht, können wir aus unseren Daten nicht ersehen. Personen mit einem aufrechten Genesungszertifikat haben aber eventuell weniger Anreiz oder Möglichkeit, ihre Impfung aufzufrischen. Das könnte etwa im Gesundheitssektor eine Rolle spielen, da hier der Anteil der Genesenen sehr hoch ist.
Gewaltige Unterschiede gibt es beim Herkunfts- bzw. Geburtsland. Ganz vorne liegen auch nach einer Altersstrukturbereinigung die Impfquoten von im Iran, in China, der Tschechischen Republik, in Deutschland, Afghanistan und der Türkei Geborenen. Ganz hinten liegen die in Rumänien und Russland Geborenen. Gibt es dafür eine plausible Erklärung?
Beim Blick auf die nationalen Impfquoten in Südosteuropa wird die Impfskepsis in dieser Region sehr schnell sichtbar. Auch in Kroatien, das als EU-Land ausreichend Impfstoff zur Verfügung hat, war Anfang März nur etwa jede zweite Person geimpft. Nationale Empfehlungen im Herkunftsland haben wiederum einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Impfbeteiligung der Migrantinnen und Migranten.
Eine weitere Erklärung ist die Nähe des Herkunftslandes zu Österreich. Es liegt nahe, dass sich zumindest ein Teil der Menschen bei Heimaturlauben in ihrem Herkunftsland impfen lässt. Viele der im Ausland erhaltenen Impfungen sind aber (noch) nicht im Nationalen Impfregister Österreichs registriert. Zwar besteht die Möglichkeit der Nacherfassung; es ist allerdings unklar, inwieweit diese Möglichkeit genutzt und Nachtragungen schon umgesetzt wurden. Auch sind nicht alle im Ausland erhaltenen Impfungen in Österreich anerkannt, so z. B. das russische Vakzin Sputnik V. Insgesamt wird es also zumindest bei manchen Herkunftsländern eine Untererfassung im Nationalen Impfregister Österreich geben.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Ergebnissen
für die Impfkommunikation und die Datenlage im Gesundheitswesen ableiten?
Die Analysen von Statistik Austria zeigen, welchen Einfluss soziodemographische Merkmale, also Alter, Geschlecht, die formale Bildung und die aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt, auf die Impfquoten und auch auf das Risiko einer COVID-19-Infektion haben. Bei den Impfquoten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es durchaus noch Verbesserungspotential – wobei die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass in der Altersgruppe der Zehn- bis Zwölfjährigen bereits mehr als 40 % im vergangenen halben Jahr von einer COVID-19-Infektion betroffen waren. Diese Erkenntnisse können bei der Planung und Umsetzung zielgerichteter Impfkampagnen genutzt werden.
Generell zeigen die Analysen, welche Erkenntnispotenziale und Möglichkeiten bestehen, wenn Gesundheitsdaten datenschutzkonform ausgewertet werden. In der Statistik Austria als unabhängige Institution erfolgt dies nach sehr hohen Qualitätsstandards und pseudonymisiert unter strikter Einhaltung des Datenschutzes. Es wäre wichtig, wenn eine Quintessenz aus der Corona-Pandemie eine nachhaltige Verbesserung der Datenlage im Gesundheitsbereich wäre. Die Möglichkeiten wären durchaus gegeben. Voraussetzungen hierfür sind eine rechtliche Grundlage und eine entsprechende Finanzierung.
Fotos: Adobe Stock, Klaus Ranger/Statistik Austria, Zsolt Marton/Statistik Austria