AERZTE Steiermark 03/2022
Omikron-Impftag mit Hoffnung auf Besserung
Hoffentlich zum letzten Mal stand der Österreichische Impftag ganz im Zeichen der COVID-19-Pandemie, wobei das Themenspektrum von COVID-Impfungen in der Pipeline über die COVID-Prophylaxe bei Immunsupprimierten bis zur Impfpflicht aus Sicht eines Verhaltenswissenschafters reichte.
Rund 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnte der Österreichische Impftag 2022 verzeichnen – und diesen Besucherrekord verdankt er in mehrerlei Hinsicht der Pandemie. „Einerseits ist das Thema Impfen so wichtig wie nie zuvor und andererseits ermöglicht die hybride Veranstaltungsform eine unkomplizierte, ortsungebundene Teilnahme“, erklärt Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien und wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages. Vor Ort im Van Swieten Saal der MedUni Wien waren hundert Teilnehmende, der Rest loggte sich online ein, diskutierte aber hochaktiv mit.
Vakzineffektivität nachverfolgen
Daniela Schmid von der AGES zeigte auf, wie über die Verknüpfung des EMS mit den Daten des Impfregisters bereits treffsichere Aussagen über die Vakzineffektivität möglich seien. Was bundesweit noch durch den Datenschutz verhindert werde, nämlich die Zusammenführung auch mit den Hospitalisierungsdaten, konnte Schmid zumindest für einzelne Bundesländer für eine laufende Kohortenstudie ausverhandeln.
Zeigten die Impfstoffe gegen den Wildtypus noch Schutzraten von 90 Prozent, erläuterte Schmid, seien diese bei der Delta-Variante von zunächst 80 auf 70 Prozent abgesunken. Daran könne man die nachlassende Immunität der Zweifachgeimpften mitverfolgen. Aber selbst in der Omikron-Welle seien die Hospitalisierten vorwiegend ungeimpft.
Mutationen aus Zufall
Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Leiterin des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien und Wissenschafterin des Jahres 2021, sprach über den Ursprung der Mutationen. Beim Umschreiben von positiv-strängiger RNA in negativ-strängige geschehen rein zufällig Fehler: solche, die dem Virus Nachteile bringen, jene ohne Effekt auf das Virus und solche, die dem Virus Vorteile wie eine effizientere Infektionsfähigkeit, höhere Virusreplikation oder einen verbesserten Immunescape bringen. Die Varianten entstünden vermutlich im Körper immunsupprimierter Menschen, wo das Virus über Monate verbleiben kann, während es bei Immunkompetenten nach wenigen Tagen bekämpft sei.
Puchhammer-Stöckl meinte, dem Licht am Ende des Tunnels habe man sich möglicherweise genähert. Etabliere sich jedoch eine Virusvariante, die hohe Infektiosität mit hoher Pathogenität verbinde, könne sich die Situation neuerlich grundlegend verändern.
„Etwas enttäuscht“
Franz X. Heinz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Virologie der MedUni Wien, konstatierte, die COVID-19-Pandemie habe zu einer „Revolution in der Impfstoffherstellung und -entwicklung“ geführt, bei der erstmals Gen-basierte Impfstoffe breite Anwendung fänden. Weltweit gesehen bestünde jedoch mehr als die Hälfte der verimpften Dosen aus klassischen Totimpfstoffen (Sinovac, Sinopharm, Bharat Biotech). Probleme in der Impfstoffentwicklung bereite die intrinsische Instabilität des Spikeproteins.
Heinz berichtete vom Status quo bei Subunit-Impfstoffen, wovon Novavax in Kürze erhältlich sein sollte. Die Impfung enthalte das Spike-Protein, in Nachtfalterzellen gentechnisch produziert und aufwendig extrahiert, und läge in der Schutzwirkung gleichauf mit mRNA-Impfstoffen. In Entwicklung (und in Indien mit Corbevax sowie auf Kuba mit Soberana auch bereits in Verwendung) befänden sich Subunit-Impfstoffe, die lediglich die rezeptorbindende Domäne verwenden. Sämtliche Impfstoffe kämpften mit der nachlassenden Schutzwirkung sowie häufigen Mutationen am Spikeprotein. „Was uns etwas enttäuscht hat“, so Heinz, sei die Tatsache, dass die Impfung nur wenig Wirkung auf die Virusausscheidung und Übertragbarkeit habe. Hier könnten intranasale Impfstoffe Abhilfe schaffen.
Mehr Schmerz, weniger Erythem
Michael Kundi, Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien, gab einen Überblick über Nebenwirkungen der COVID-Impfstoffe. Im Gegensatz zu anderen Impfungen käme es häufiger zu Schmerzen an der Einstichstelle, dafür seltener zu einem Erythem. Einen Image-Bias ortet Kundi bei Vaxzevria, das vorwiegend an Gesundheitspersonal verimpft wurde, das von Berufs wegen – und daher vermutlich häufiger – Nebenwirkungen melde. Die Reaktogenität der COVID-Impfstoffe sei relativ hoch, die meisten Reaktionen verschwänden aber innerhalb von drei Tagen. Generell sei die Immunreaktion auf eine Impfung nach sechs Wochen abgeschlossen, überhaupt bei den COVID-Impfstoffen, deren Bestandteile komplett verstoffwechselt würden.
Die derzeit übliche passive Surveillance eigne sich gut zur Detektion seltener schwerer Nebenwirkungen. Die gemeldeten Fälle würden dann mit der Hintergrundinzidenz abgeglichen. Anaphylaxien wurden selten beobachtet (1–5 Fälle pro 100.000 Dosen), Thrombozytopenien ebenfalls. Nun werde immer wieder auch eine aktive Surveillance gefordert, die es aber noch nie für alle Geimpften gegeben habe. Weiters berichtete er, dass sich die jährlich gemeldeten (nicht anerkannten!) Impfschäden von rund zehn vor der COVID-Impfung auf 431 im Jahr 2021 gesteigert haben (407 zur COVID-Impfung). Dabei zeigt sich, dass sich plötzlich auch die Meldung für längst etablierte Impfungen mehr als verdoppelt hat.
Immunsupprimierte impfen!
Ursula Wiedermann-Schmidt gab Einblick in die Impfstrategien bei immunsupprimierten Personen, immerhin rund 250.000 Personen in Österreich. Sie zählen in puncto COVID-19 zu den Hochrisikopatienten, zudem sei bei dieser Personengruppe die Transmissionsrate in beide Richtungen erhöht und es käme häufiger zu Durchbruchsinfektionen.
„Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe, bei der in Einzelfällen oder für bestimmte Gruppen ein stratifiziertes oder personalisiertes Impfen angebracht ist“, erläuterte Wiedermann-Schmidt. Ausschlaggebend für den Impferfolg sei weniger die Krankheitsentität als die Therapieform und Medikamentendosis (auch Abstand zur Gabe). Wegen der höheren Antigenmenge sei bei dieser Patientengruppe die Impfung von Moderna angeraten.
Wiedermann-Schmidts Team hat untersucht, inwieweit sich Rituximab (für Onkologie- und Rheumapatient*innen), Tacrolimus (nach Transplantationen) sowie Fingolimod (bei MS) auf den COVID-19-Impferfolg auswirken. Dabei kristallisierte sich Rituximab als besonders problematisch heraus, da es die B-Zellen eliminiert. Die zelluläre Impfantwort finde jedoch trotzdem statt.
Wiedermann-Schmidt empfiehlt als Prädiktor für das Impfansprechen eine Lymphozytentypisierung vor der Impfung sowie ein 3+1-Impfschema für alle Immunsupprimierten. Bei Non-Respondern oder nach drei erfolglosen Impfungen sei eine präexpositionelle Behandlung mit monoklonalen Antikörpern empfehlenswert.
Die Vermessung der Impfskepsis
Einen Beitrag zum Thema Impfskepsis aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive lieferte Robert Böhm, Professor für Sozialpsychologie der Universität Wien. Zur Klassifizierung der Gründe für das (Nicht-)Impfen stellte er das 7-C-Modell vor: Entscheidend seien Confidence, Complacency, Constraints, Calculation, Collective Responsibility, Compliance und Conspiracy. „Unsere Fragebögen zeigen normalerweise eine Differenz zwischen Geimpften und Ungeimpften in zwei, drei Aspekten. Bei der COVID-Impfung hingegen betrifft es alle sieben!“
An seinem Institut wurde Ende 2021 die aktuelle Stimmungslage bei Ungeimpften erhoben. „Dabei hat sich gezeigt, dass 76 Prozent der Ungeimpften sich auf gar keinen Fall impfen lassen wollen. 41 Prozent wollen sich auch in der Zukunft gegen nichts mehr impfen lassen.“
55 Prozent nannten Angst als zentralen Grund für die Verweigerung der COVID-Impfung. Die öffentliche Debatte über die Impfung empfanden 88 Prozent der Ungeimpften als unfair, überheblich und moralisierend.
Ob eine Impfpflicht die Lösung sein könne, hinge von ihren Bedingungen ab, sei aber eine rein politische Entscheidung, so Böhm. Für eine Impfpflicht spreche die mögliche Stärkung des Gemeinwohls, eine mögliche Effizienz und die derzeitige Akzeptanz durch eine Mehrheit. Dagegen sprechen die psychologischen Nebenwirkungen bei Verlust der Autonomie (Reaktanz), aber auch eine mögliche Impffaulheit in weiterer Folge. „Hier müssen wir gut aufpassen, damit kein Gesamtschaden an unserem Impfsystem entsteht“, warnte Böhm. „Um einer Eskalation rechtzeitig entgegenzuwirken, ist ein stetiges Monitoring der öffentlichen Stimmungslage erforderlich.“
„Austausch ist essentiell“
„Hochkarätige Vorträge, sehr interaktiver Austausch und viel positives Feedback“ – so lautet das Resümee der Impftag-Leiterin Wiedermann-Schmidt. „Es hat sich wieder einmal gezeigt, wie essentiell und impulsgebend der Austausch untereinander ist.“ Pandemiemüdigkeit ortet sie (noch) keine in der wissenschaftlichen Community – im Sinne von Resignation. Positiv an der Pandemie sei, dass Impfen wieder in den Fokus gerückt sei und auch von Kolleg*innen impfferner Fächer wieder ernster genommen werde. Offen bleibe aus ihrer Sicht eine schulische Gesundheitsbildung, die Grundwissen über Impfungen in der gesamten Bevölkerung verankere. „Die Leute müssen verstehen, wie Hygienemaßnahmen und Impfungen funktionieren, damit sie sich entsprechend verhalten.“ Für den Impftag 2023 wünscht sich Wiedermann-Schmidt, „dass das Coronavirus nur mehr ein Thema unter vielen“ sein wird.
Für die Teilnehmenden des diesjährigen Impftages kostenlos (ansonsten um 25 Euro einzeln buchbar) finden zwischen den Impftagen Impf-Webinare statt. Details auf www.meindfp.at/akademie-lernwelt/ueberblick/webinarreihe-fokus-impfen.
Der Österreichische Impftag 2023 ist für den 21. Jänner geplant.
Fotos: Peter Provaznik, Österreichische Akademie der Ärzte