AERZTE Steiermark 03/2022
„Langeweile erschöpft mich“
Rosemarie Gössler ist Amtsärztin des Bezirkes Voitsberg. Aber auch Vizebürgermeisterin der Marktgemeinde Stallhofen, fünffache Mutter und Dirndl-Fan. Seit ihren ersten Arbeitsjahren im südafrikanischen Busch sucht – und findet – sie die Herausforderung.
Ursula Scholz
„Mein Medizinstudium war eigentlich eine Trotzreaktion“, erzählt Rosemarie Gössler verschmitzt. „Ich wollte in Wien Kunst studieren, da haben mir meine Eltern die finanzielle Unterstützung verweigert. Also habe ich mir stattdessen das längste Studium ausgesucht.“ Um sich ihrer Sache sicher zu sein, jobbte sie im Sommer vor Studienbeginn auf der Chirurgie in Graz – eine harte Lehrzeit. „Das Studium hat mir dann aber richtig Spaß gemacht, vor allem der klinische Bereich.“ Zunächst schwebte Gössler eine Fachausbildung in plastischer Chirurgie vor. „Ich wollte keine Schönheits-OPs machen, sondern Verbrennungs- und Unfallopfern helfen. Vielleicht war das meine Verbindung zur Kunst …“
Nach der Promotion im Jahr 1989 begann die schier endlose Suche nach einem Turnusplatz. Gegen Studienende hatte sie ein Jahr lang im Sanatorium Hansa bei OPs assistiert und die Stationen betreut. Diese Vorerfahrung ließ sich erstaunlich gut nutzen, denn als sie sich dann in einer Klinik in KwaNdebele, einem Homeland mitten im Busch im Nordosten Südafrikas, bewarb, wurde ihr diese Zeit als praktisches Jahr anerkannt und sie konnte als Ärztin zu arbeiten beginnen.
„Wir haben am Areal des Krankenhauses gewohnt, gut bewacht, und waren sozusagen 24 Stunden im Dienst, wann immer wir gebraucht wurden. Unsere Patienten reichten vom unreifen Neugeborenen bis hin zu psychiatrischen Fällen. Die Notfälle waren allerdings zumeist Kaiserschnitte“, erzählt sie von ihren intensiven Erfahrungen in Afrika.
Viel Wodka
Wieder zurück in Österreich konnte Gössler den Turnus absolvieren und strebte danach eine gynäkologische Fachausbildung an. Sie, die reichlich eigenständige Sectio-Erfahrung gemacht hatte, bekam hierzulande nirgendwo eine gynäkologische Assistenzarztstelle.
Aufgeben war und ist allerdings so gar nicht ihre Art, und so half sie beim Aufbau des Notarztsystems in Rottenmann mit, Rettungshubschraubereinsätze bei der Staffel in Aigen inklusive. „Die waren sowieso das Tollste!“ Die angebotene Anästhesie-Fachstelle erschien ihr nicht passend – und als der Notarztdienst nach drei Jahren zur Routine geworden war, bewarb sich Gössler beim Internationalen Roten Kreuz. Direkt vom Aufnahmetest weg wurde sie für ein Impfprogramm am Baltikum rekrutiert, mit Homebase in Genf.
Die Politik, die sie heute selbst mitgestaltet, lernte sie zu diesem Zeitpunkt von der anderen Seite her kennen: „Meine Gegenüber waren oft die jeweiligen Gesundheitsminister dieser Staaten, aber auch die örtlichen Rotkreuz-Präsidenten. Da musste ich viel Wodka trinken, um mich als Verhandlungspartnerin auf Augenhöhe zu beweisen.“
Als kritische Stimme geholt
Das „Ende einer medizinisch hochinteressanten Zeit“ und die Rückkehr nach Österreich ergaben sich aus der folgenden ebenso dichten Familienphase: Rosemarie Gössler wurde Mutter von weiteren vier Kindern. Ihr berufliches Engagement endete damit allerdings nicht, sondern verlagerte sich nur.
Es folgten eine Stelle in der Landessanitätsdirektion sowie ein Sidestep in das politische Büro des damaligen Gesundheitslandesrates Günter Dörflinger samt umfassendem Einblick in die Welt der Politik. Der Grund für ihren eigenen Einstieg in die Volksvertretung wurde allerdings nicht im Büro des Landesrates gelegt, sondern beim Einkauf im Stallhofener Ortskaufhaus. Als frisch zugereiste Häuslbauerin ging sie regelmäßig dorthin, um Jause zu besorgen. Gössler trug das Herz auf der Zunge und so kam es beim Einkaufen immer wieder zu lebhaftem Meinungsaustausch. „Kommen´S einmal zur Fraktionssitzung“, lautete die Reaktion des politisch aktiven Kaufmannes. „Nach ein paar Jahren, in denen ich mich immer wieder in Diskussionen eingebracht habe, hat mich dann der Bürgermeister gefragt, ob er mich für die Gemeinderatswahl aufstellen darf. Sie haben mich sozusagen als kritische Stimme geholt“, so Gössler.
Pionierin der Nachmittagsbetreuung
Ein Herzensanliegen war Gössler von jeher die Kinderbetreuung im Ort. Mit dem Halbtagskindergarten als einzigem Angebot für die Kleinen könne sie den ausgeschriebenen Job als Amtsärztin des Bezirkes nicht annehmen, erklärte Gössler dem Bürgermeister. Für die Implementierung einer Nachmittagsbetreuung waren nur fünf Kinder nötig – vier davon brachte sie gleich selbst mit. Somit verfügte Stallhofen als eine der ersten Gemeinden im Bezirk über eine ganztägige Betreuung für Vorschul- und Schulkinder.
Im Laufe der Zeit engagierte sich Gössler in mehreren schulischen Elternvereinen – und steht noch heute, wo ihre Kinder erwachsen sind, dem Volksschulausschuss der Gemeinde vor und ist Schriftführerin im Musikmittelschul-Ausschuss. Neben einigen anderen Ausschüssen …
Besonders wichtig ist ihr der Umweltausschuss: „Da geht es um unsere Zukunft! Wir sind eine wachsende Gemeinde, wir müssen zum Beispiel die Wasserversorgung sicherstellen.“ Auch die ärztliche Versorgung liegt ihr naturgemäß am Herzen. Eine allgemeinmedizinische Kassenstelle gäbe es seit fast einem Jahr zu besetzen, in der Gemeinde sind in zwei Bauprojekten bereits die Räumlichkeiten dafür vorgesehen.
Der Wille des Volkes
Als sie selbst im Herbst 2004 die Stelle als Amtsärztin angenommen hat, war der Job nur als Übergangslösung gedacht, solange die Kinder klein waren. „Ich hab es mir langweilig vorgestellt, als Beamtin am Schreibtisch zu arbeiten. Dabei ist die Tätigkeit einer Amtsärztin hochinteressant und äußerst vielfältig: von Impfungen über das Management meldepflichtiger Krankheiten, die sanitäre Einschau in Krankenanstalten, umweltmedizinische Gutachten und Führerscheinuntersuchungen bis zu Untersuchungen von Prostituierten, Behinderten, Suchtkranken, Jägern etc. Man lernt dabei das ganze Spektrum der Bevölkerung kennen“, schwärmt sie nach mehr als 17 Jahren. „Und das Team ist sowieso wunderbar.“
Zehn Jahre nach ihrem Eintritt als Amtsärztin nahm Gössler ein weiteres, völlig anderes Amt an: jenes der Vizebürgermeisterin. „Eigentlich wollte ich das ja nicht. Aber der Altbürgermeister hatte ein Jahr vor der Wahl eine inoffizielle Umfrage im Ort durchgeführt, wen sich die Bevölkerung als Nachfolger wünschen würde. Dabei wurde unser jetziger Bürgermeister als solcher genannt – und ich als Vizebürgermeisterin. Und meine damals pubertierenden Kinder haben zu mir gesagt, wenn die Menschen das wollen, sei ich quasi dazu verpflichtet.“ Gössler stimmte zu – und trat erst zu diesem Zeitpunkt der ÖVP bei.
Torte, Tracht und Träume
Sobald Gössler sich bereit erklärt, eine Rolle anzunehmen, füllt sie sie mit größtem Engagement aus. So auch jene der Vizebürgermeisterin und Vorsitzenden der Frauenbewegung. Gemeinsam mit diesen Frauen des Ortes hat sie beim Marktfest tatkräftig mitgearbeitet, eine Stallhofener Torte kreiert – und zuletzt in Kooperation mit dem Heimatwerk eine Stallhofener Sonntagstracht entworfen, die dann gleich im Nähkurs umgesetzt wurde.
Die Frage, wobei sie sich entspannt, kann Rosemarie Gössler gar nicht ad hoc beantworten, sorgt sie doch neben ihren vielfältigen Aufgaben auch noch gemeinsam mit ihren Schwestern für die schwerkranke Mutter. „Laufen, lesen, stricken“, fällt ihr dann doch ein. Ebenso lang ist die Liste ihrer Zukunftsprojekte: „Ich möchte einen langen Jakobsweg gehen, mit dem Rad durch ganz Italien bis Sizilien fahren – und Sprachen lernen. Mir taugen die Herausforderungen. Langeweile erschöpft mich viel mehr als anzupacken und etwas zu schaffen.“
Fotos: Erwin Lesky, Binder/Land Steiermark, beigestellt