AERZTE Steiermark 02/2022
Das Sterbeverfügungsgesetz
Ein rechtlicher Überblick.
Herbert Emberger
In Österreich war bis vor kurzem jegliche Mitwirkung am Selbstmord im Rahmen des § 78 StGB (Strafgesetzbuch) unter Strafe gestellt. Genannte Bestimmung sah in der vor dem 01.01.2022 geltenden Fassung vor, dass derjenige, der einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen war. Ausnahmeregelungen bestanden nicht, sodass es bis dahin ausnahmslos, auch für Ärzte, strafbar war, an einer Selbsttötung mitzuwirken bzw. Hilfe zu leisten. Diese Norm wurde nicht nur kontroversiell diskutiert, es wurde auch die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung in Zweifel gezogen und letztlich der Verfassungsgerichtshof bemüht.
Sterbefügungsgesetz seit 1. Jänner 2022 in Kraft
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 11. Dezember 2020 wurde die Verfassungswidrigkeit des strafrechtlichen Verbots jeglicher Hilfe eines Dritten bei der Mitwirkung am Selbstmord aufgrund Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung festgestellt; das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst nach Ansicht des VfGH sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Es wurde daher im § 78 StGB die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet,“ mit Ablauf des 31.12.2021 aufgehoben. Gleichzeitig erging an den Gesetzgeber die Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidung zur Selbsttötung rein freiwillig und nicht unter dem Einfluss von dritten Personen erfolgt bzw. gefasst wird. Dem Rechnung tragend, wurde nicht nur § 78 StGB neu gefasst, sondern insbesondere auch das mit 1. Jänner 2022 in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz erlassen. Das Sterbeverfügungsgesetz regelt nunmehr die Möglichkeit der Errichtung einer entsprechenden Verfügung.
Nur nach ärztlicher Aufklärung
Eine Sterbeverfügung kann nur wirksam errichtet werden, wenn die sterbewillige Person Österreichische Staatsangehörige ist oder zumindest ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat. Eine Sterbeverfügung kann nur höchstpersönlich errichtet werden, die sterbewillige Person muss volljährig und deren Entscheidungsfähigkeit zweifelsfrei gegeben sein. Eine solche Verfügung kann nur von Personen errichtet werden, die an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. Darüber hinaus muss die Krankheit einen nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen. Eine der aufklärenden ärztlichen Personen – dazu gleich – hat zu bestätigen, dass ein solcher Leidenszustand vorliegt. Der Errichtung der Sterbeverfügung hat eine Aufklärung durch 2 ärztliche Personen voranzugehen, von denen eine eine palliativmedizinische Qualifikation aufzuweisen hat. Als „ärztliche Person“ im Sinne dieses Gesetzes gelten alle zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Ärztinnen und Ärzte. Das Gesetz sieht gewisse Mindestinhalte der Aufklärung vor, dies unter dem Aspekt, dass bei der sterbewilligen Person nur dann von einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage ausgegangen werden kann, wenn ihr alle erheblichen Gesichtspunkte, Handlungsalternativen und ihre Folgen bekannt sind. Aufzuklären ist zumindest über die im konkreten Fall möglichen Behandlungs- oder Handlungsalternativen, insbesondere Hospizversorgung und palliativmedizinische Maßnahmen. Die Aufklärung hat auch einen Hinweis auf konkrete Angebote für psychotherapeutische Gespräche und suizidpräventive Beratung sowie einen Hinweis auf weitere zielführende Beratungsangebote zu enthalten. Schließlich ist über die Dosierung und Einnahme des zur Anwendung gelangenden Präparats, mögliche Komplikationen bei der Einnahme des Präparats etc. aufzuklären. Wie bereits ausgeführt, hat diese Aufklärung durch 2 ärztliche Personen zu erfolgen, wobei nicht jede ärztliche Person über sämtliche Inhalte auch aufklären muss. Zu beachten ist, dass die ärztliche Person, die über Behandlungsalternativen aufklärt, das Vorliegen einer entsprechenden Krankheit im Sinne des Gesetzes und einer glaubwürdigen Erklärung der betroffenen Person über einen für sie nicht anders abwendbaren Leidenszustand zu bestätigen hat. Jedenfalls haben beide ärztlichen Personen unabhängig voneinander zu bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen entsprechenden, freien und selbstbestimmten Entschluss geäußert hat.
Erst nach ärztlicher Aufklärung und Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Fristen kann die Sterbeverfügung errichtet werden. Diese ist von einer sogenannten dokumentierenden Person zu errichten. „Dokumentierende Personen“ können NotarInnen bzw. rechtskundige MitarbeiterInnen der Patientenvertretungen sein.
Werben mit Hilfeleistung verboten
Das zur Anwendung gelangende Präparat darf nur von einer öffentlichen Apotheke in der in der Sterbeverfügung angegebenen Dosierung an die sterbewillige oder eine in der Sterbeverfügung namentlich genannte hilfeleistende Person nach Vorlage der wirksamen Sterbeverfügung abgegeben werden. Eine hilfeleistende Person im Sinne des Gesetzes kann jede volljährige und entscheidungsfähige Person sein, die bereit ist, die sterbewillige Person bei der Durchführung der lebensbeendenden Maßnahmen zu unterstützen. Als Hilfeleistung ist dabei die physische Unterstützung gemeint. Zu beachten ist, dass schon begrifflich eine Hilfeleistung nur vorliegen kann, wo die sterbewillige Person selbst die lebensbeendenden Maßnahmen durchführt. Bei der allenfalls hilfeleistenden Person muss es sich nicht um einen Arzt, eine Ärztin handeln! Hinweisen darf ich darauf, dass das Sterbeverfügungsgesetz ein Verbot enthält, mit der Hilfeleistung zu werben. Ebenso unzulässig ist es, sich oder einem Dritten für die Hilfeleistung wirtschaftliche Vorteile versprechen zu lassen oder anzunehmen, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen. Die Hilfeleistung hat also ohne Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils zu erfolgen. Jegliche Mitwirkung an der Selbsttötung erfolgt rein freiwillig, niemand ist verpflichtet, eine Hilfeleistung zu erbringen, insbesondere ist auch keine ärztliche Person verpflichtet, eine Aufklärung durchzuführen oder in einer anderen Form an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken. Andererseits darf niemand, also auch keine ärztliche Person, für ihr Mitwirken, aber auch für die Verweigerung des Mitwirkens, in welcher Art auch immer, benachteiligt werden.
Bei den Seminaren im März wird Dr. Herbert Emberger gemeinsam mit Univ.-Prof. Mag. jur. Dr. med. Thomas Wagner am 31. März 2022 referieren. Dabei werden INSBESONDERE die Auswirkungen auf die Ärzteschaft gemeinsam besprochen.
Dr. Herbert Emberger ist Rechtsanwalt in Leibnitz.
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