AERZTE Steiermark 01/2022
Kontrolle ist gut. Ärztin, Arzt ist besser.
Die Österreicherinnen und Österreicher vertrauen ihren Ärztinnen und Ärzten weit mehr als der Politik. Mehrere Umfragen und Studien bestätigen das.
Martin Novak
Sind Sie lieber Politikerin bzw. Politiker oder Ärztin bzw. Arzt? Eine eigentlich dumme Frage, auf die es aber eine gescheite Antwort gibt: 85 Prozent der österreichischen Bevölkerung sagen, dass ihnen Ärztinnen und Ärzte in der Bewältigung der Corona-Pandemie sehr oder eher positiv aufgefallen sind. 83 Prozent meinen das für die österreichischen Spitäler. Am anderen Ende der Skala liegt laut Gesundheitsbarometer (n=1.000) die österreichische Bundesregierung, die 5 Prozent sehr positiv und weiteren 20 Prozent eher positiv aufgefallen ist. Die Landesregierung des eigenen Bundeslandes kommt immerhin auf 12 (sehr) und 31 Prozent (eher) positive Bewertungen.
Die Einstellung lässt sich aber genauso – und vielleicht noch mehr – an den negativen Beurteilungen ablesen. Demnach ist die Bundesregierung 37 Prozent sehr negativ aufgefallen, 20 Prozent sagen das für die eigene Landesregierung. Aber nur 4 Prozent sehen die Spitäler sehr negativ und nur 3 Prozent die Ärztinnen und Ärzte.
Dazu passen auch die Ergebnisse des Österreichischen Demokratiemonitors des Sora-Instituts mit 2.003 bzw. 500 Befragten. Nach dieser Befragung meinten im November und Dezember 2021 58 Prozent der Befragten, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniere. „Systemvertrauen am tiefsten Punkt seit Erhebungsbeginn“ titelten die Sora-Autoren dazu. Denn 2018 hatten nur 33 Prozent eine derart negative Sichtweise.
So schwarz malen die Politik zwar alle Einkommensgruppen, besonders stark heruntergefallen sind aber das obere und das mittlere Einkommensdrittel, während das untere Drittel auch in den letzten Jahren dem politischen System bereits vergleichsweise wenig Vertrauen entgegenbrachte.
Zu einem kaum anderen Befund kommt auch das Austrian Corona Panel Project der Universität Wien, das die Regierungskommunikation untersuchte. „Mittelmäßige“ Werte bescheinigten die Studienautoren Jakob-Moritz Eberl, Noëlle S. Lebernegg, Julia Partheymüller und Hajo G. Boomgaarden der Regierungskommunikation bereits im Jänner des Vorjahres (so gab es für die Aussage, die Entscheidungen der Regierung seien nachvollziehbar begründet, nur von 7 Prozent volle Zustimmung), aber bis zum Jahresende verschärfte sich die negative Stimmung. 12 Prozent konnten sich Ende November 2021 sogar für die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen erwärmen.
Politiker treten gegeneinander auf
Der ÖVP-Politiker und Arzt Josef Smolle freut sich in einer Stellungnahme, dass den Ärztinnen und Ärzten und dem Gesundheitswesen so viel Vertrauen entgegengebracht wird, verteidigt aber auch die Politik: „Betreffend Politik möchte ich zwei entscheidende Unterschiede ansprechen. Erstens wird an die Medizin generell ein einheitliches Anliegen herangetragen – Gesundheit! Dagegen ist die Politik mit verschiedensten, oft gegensätzlichen Forderungen konfrontiert, denen man niemals allen genügen kann. Zweitens wissen wir, dass Vertrauen zerstört wird, wenn die Angehörigen einer Berufsgruppe gegeneinander auftreten. Das kommt in der Medizin zwar vor, aber selten. In der Politik ist jedoch die wechselseitige Kritik ein unabdingbares Fundament der Demokratie. Erfolgt diese Kritik allerdings faktenbefreit oder untergriffig, dann untergräbt das nachhaltig das Vertrauen.“
Dass die Kritik nicht faktenorientiert stattfindet, meinen auch Jakob-Moritz Eberl und Noëlle S. Lebernegg in ihrer Interpretation der jüngsten Austrian Corona Panel Project-Untersuchung der Universität Wien. Sie befinden, „dass unter den Demo-Unterstützer*innen mit 57 % ein größerer Anteil der Meinung ist, dass Wissenschafter*innen ‚mit Politik und Wirtschaft unter einer Decke‘ stecken, als dies in der Gruppe der Befragten der Fall ist, die die Demos nicht unterstützen (18 %).“ Das „hohe Grundniveau an Wissenschaftsfeindlichkeit“ könne die österreichische Politik vor immer neue Herausforderungen stellen, wenn es darum geht, dass Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation gelingen muss, um die Pandemie zu überwinden, schreiben sie.
Gleichbleibend hohes Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte
Allerdings erklärt diese Analyse nicht, warum Ärztinnen und Ärzten gleichbleibend hohes Vertrauen entgegengebracht wird, während jenes in die Politik offenbar absackt. Gute Pandemie-Bewältigung attestierte der Bundesregierung laut Gesundheitsbarometer im März und Juni 2021 nämlich noch knapp die Hälfte der Bevölkerung, während es im November nur mehr 25 Prozent waren. Das Zutrauen in die Ärztinnen und Ärzte, aber auch in die Spitäler veränderte sich im gleichen Zeitraum gar nicht. Es lag im März bei 85 bzw. 83 Prozent und im Dezember ebenso. Und Ärztinnen und Ärzte repräsentieren genau jene Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftskommunikation, die nach Ansicht der Uni-Wien-Autor*innen das Problem der Politik ist.
Vielleicht muss man doch auf die ältere Analyse der Politik zurückgreifen, die von denselben Verfasser*innen kommt. „Mit nur 13 Prozent bekam die Aussage ‚Die Regierung ist offen für Kritik von anderen‘ bei weitem am wenigsten Zustimmung von den Befragten. Die Mehrheit der Bevölkerung (55 Prozent) hält die Regierung für nicht offen für Kritik. Auch die folgende Aussage mit den höchsten Zustimmungswerten ist kein Ruhmesblatt für die Regierungskommunikation: 47 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Regierung mehr Wert auf ihr Auftreten als auf Inhalte legt. Nur wenige (23 Prozent) teilen diesen Eindruck nicht. Auch bei der Transparenz der Regierungsentscheidungen ist laut öffentlicher Meinung noch Luft nach oben. Denn nur 28 Prozent der Befragten finden, dass die Entscheidungen der Regierung nachvollziehbar begründet sind. Für 40 Prozent sind die Regierungsentscheidungen nicht nachvollziehbar.“ Das schrieben sie Ende Jänner 2021. Auch stimmten nur 11 Prozent der Aussage „Die Regierung stellt Informationen zur Verfügung, die leicht verständlich sind“ voll zu.
Ja zur Demokratie
Bei aller Politik-Skepsis gibt es aber auch eine politisch gute Nachricht. Und die kommt vom Sora-Demokratiebarometer: Dem Satz „Die Demokratie ist die beste Staatsform, auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag“ stimmt seit 2018 eine sich kaum verändernde, satte Mehrheit von fast 90 Prozent der österreichischen Bevölkerung zu.
Einziger Wermutstropfen: Der harte Kern der „Autoritätsgläubigen“ – rund 10 Prozent der Bevölkerung – wird zwar nicht größer, verhärtet sich aber immer mehr.
Expertinnen und Experten gefragt
Österreicherinnen und Österreicher wollen mehrheitlich Entscheidungen der „Weisen“ statt der
Politik. Expertinnen und Experten können nur beraten, Politikerinnen und Politiker müssen entscheiden und diese Entscheidungen verantworten. Das ist die gängige Erklärung, warum die Politik unter starkem Druck steht.
Die Bevölkerung – nicht nur in Österreich – würde es aber offenbar mehrheitlich gut finden, wenn die Befunde der Fachleute unmittelbar zu politischen Entscheidungen werden. „Im Zuge der Pandemie wurde vielfach der Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen kritisiert und Legitimationsdefizite angesichts einer „Herrschaft der Virologen” diagnostiziert. Expert*innen, die die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronavirus befürworteten, wurden öffentlich angegriffen und sogar mit Mord bedroht. Diese Angriffe überraschen allerdings vor dem Hintergrund, dass aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass viele Bürger*innen in entwickelten Demokratien technokratische Einstellungen aufweisen und den Einfluss von Expert*innen in der Politik grundsätzlich gutheißen“, schreiben Julia Partheymüller und Jakob-Moritz Eberl vom Austrian Corona Panel Project der Universität Wien.
Und untermauern diese Aussage auch mit Zahlen: In acht Befragungen von März und November 2020 sahen jeweils mehr als 60 Prozent den Einfluss von Expertinnen und Experten auf politische Entscheidungen positiv. „Es zeigt sich eine breite Unterstützung für den Einfluss von Expert*innen, die politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen, in allen Bevölkerungsgruppen“, befinden die Autor*innen. Selbst bei Jüngeren (14–29-Jährigen), die den Einfluss der Expertinnen und Experten am kritischsten sehen, wird deren Bedeutung für politische Entscheidungen nur von 12 Prozent, „einer kleinen Minderheit“, so der Befund, infrage gestellt. Besonders hoch sei die Zustimmung bei älteren (65+) Befragten und Personen mit Universitätsabschluss, befinden Partheymüller und Eberl. Die Zustimmung geht auch über Wählerinnen und Wähler aller Parteien hinweg. „Eine breite Mehrheit der Bevölkerung befürwortet es, wenn Expert*innen auf wissenschaftlicher Grundlage politische Entscheidungen treffen. Dies gilt für alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Lager“, lautet die Zusammenfassung.
Das relativiert auch die Klagen über die ausgeprägte Wissenschaftsskepsis. Die gibt es offensichtlich nur bei einer kleinen Minderheit, die nur durch große Lautstärke ihre geringe quantitative Relevanz verschleiert.
Coronapolitik: im eigenen Bundesland immer beliebter, in Salzburg am unbeliebtesten
In allen Bundesländern Österreichs hat die Bevölkerung des jeweiligen Landes einen besseren Eindruck von der Corona-Politik der eigenen Landesregierung als die gesamtösterreichische Bevölkerung. So weit, so klar: Nähe und Regionalpatriotismus zählen.
Aber es gibt gewaltige Unterschiede: In Vorarlberg (wenige Befragte) und in Tirol ist die Zustimmung der eigenen Bevölkerung um etwa ein Viertel höher als die der österreichischen. In Niederösterreich ist es rund ein Fünftel. In der Steiermark und in Kärnten sind es jeweils mehr als ein Sechstel. Das Burgenland hat die höchste Zustimmung in der eigenen Bevölkerung (70 Prozent), weil aber auch die gesamtösterreichische Zustimmung mit 56 Prozent hoch ist, bleibt der Regionalpatriotismusfaktor vergleichsweise gering. Noch niedererer ist er in Oberösterreich, wo 30 Prozent der eigenen und 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung die Coronapolitik der Landesregierung goutieren. Für Wien beträgt die Differenz 8 Prozentpunkte. Die größte Einigkeit gibt es aber für Salzburg: 22 Prozent der eigenen und 19 Prozent der österreichischen Bevölkerung gefällt die Landes-Coronapolitik.
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Chart: Conclusio