AERZTE Steiermark 11/2021
LKGS: OP-Technik aus London
Der Grazer Gesichtschirurg Michael Schwaiger hat die Technik des Gaumenverschlusses unterm Mikroskop in London gelernt – und damit bereits 50 Menschen geholfen.
Kleinkinder mit Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte (LKGS) sind damit beim Spracherwerb weniger benachteiligt; aber auch bei jugendlichen und erwachsenen Patienten verbessert diese Methode das Sprachergebnis noch deutlich.
Sie zählt zu den häufigsten Fehlbildungen bei Neugeborenen in Österreich: die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. In Mitteleuropa trifft es im Schnitt ein Kind pro 600 Geburten, in Japan und Finnland deutlich mehr. Die Ausprägung der Fehlbildung variiert stark und hängt unter anderem vom Zeitpunkt der aufgetretenen Störung der Gesichtsentwicklung, früh in der Schwangerschaft, ab. Am häufigsten ist die einseitige LKGS mit 40 Prozent, dann folgt die isolierte Gaumenspalte (30 %) vor der isolierten Lippenspalte (20 %) und den doppelseitigen LKG-Spalten. Noch ist die Ursache nicht vollständig geklärt, vieles spricht für das Zusammenwirken mehrerer Faktoren. „Die regionalen Unterschiede sind noch nicht entschlüsselt, genetische Komponenten spielen wohl ebenso eine Rolle wie Umwelteinflüsse und andere externe Parameter“, erklärt Michael Schwaiger, 2. stellvertretender Abteilungsleiter der Klinischen Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am Grazer Universitätsklinikum.
Feiner arbeiten
An der Grazer Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie hat die Behandlung von Patienten mit LKG-Spalte lange Tradition. Gegen Ende seiner Assistenzarztzeit ging Schwaiger an das Guy´s and St. Thomas´ Hospital in London, um weitere Erfahrung in diesem Spezialbereich zu sammeln. Die von Brian Sommerlad entwickelte Technik des Gaumenverschlusses unter dem Mikroskop wird dort in sehr hoher Fallzahl praktiziert und gehört in Großbritannien mittlerweile zu den Standard-Behandlungen. In Österreich zählt Schwaiger, der nun schon seit zwei Jahren unterm Mikroskop operiert, zu den Pionieren. „Dabei sitzt der Operateur neben dem Kind, sieht durch das Okular und muss sich nicht so verbiegen. Er hat deutlich mehr Übersicht über das doch sehr kleine Operationsgebiet. Dadurch und durch die Vergrößerung kann die Muskulatur, die das Velum bewegt, viel feiner herauspräpariert und neu positioniert werden.“
Der Verschluss der LKG-Spalte verhindert, dass Essen und Getränke über die Nase austreten und ermöglicht im Rahmen des Spracherwerbs erst die Lautbildung der Plosive p, t und k. Operiert wird je nach Fehlbildung in zwei Stufen und von vorne nach hinten: „Wir beginnen im Alter von drei bis fünf Monaten mit dem Verschluss der Lippe; der Gaumen ist mit acht bis zwölf Monaten dran.“
Persönliches Gespräch hilft
Viele kleine Patient*innen von Schwaiger sind noch zu jung, um festzustellen, wie sich die verfeinerte OP-Technik auf ihre Sprachentwicklung auswirken wird. Was sich jedoch relativ rasch feststellen hat lassen, war der Rückgang an postoperativ auftretenden Restlöchern im Gaumen. „In der Literatur ist bei der herkömmlichen OP-Methode von zehn bis zwanzig Prozent die Rede, nach einer OP unterm Mikroskop sind es nur halb so viele“, betont Schwaiger.
Die Grazer Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist auf LKG-Spaltenoperationen im Kindesalter fokussiert, aber auch in höherem Lebensalter erreichen die Grazer Gesichtschirurgen noch viel Positives. „Die meisten Patienten führen ein normales Leben, aber ihre Narbe an der Lippe und eventuell eine schiefe Nase sind für sie oft störend. Hier können Revisionsoperationen wie Lippen- und Nasenkorrekturen eine deutliche Steigerung der Lebensqualität erwirken. Auch in puncto Sprachprobleme lassen sich auch bei jungen Erwachsenen noch Verbesserungen erzielen“, erläutert Schwaiger.
Bewährt hat sich, wenn die werdenden Eltern nach der vorgeburtlichen Diagnose Kontakt mit dem Spalt-Team aufnehmen. „So eine Diagnose ist ein Schock für die Familie. Ein persönliches Gespräch kann dann doch einige Ängste nehmen“, weiß Schwaiger aus Erfahrung. In den ersten Lebenstagen und -wochen des Kindes stehen die Experten den Eltern mit Tipps und Tricks zur Seite, schließlich kann das Baby oft keinen Saugschluss bilden. Spezialsauger und eine „Gaumenplatte“ schaffen Abhilfe.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Rund 50 Gaumenspalten hat Schwaiger bereits unter Zuhilfenahme des Mikroskops operiert. Die medizinische Betreuung erfolgt stets interdisziplinär – die meisten Kinder mit LKGS haben beispielsweise auch Probleme mit ihren Ohren. In Graz beginnt die ärztliche Begleitung auf der Gynäkologie und setzt sich auf der Pädiatrie inklusive Logopädie und Kinderradiologie fort, dann kommen Kieferorthopädie, Genetik und Schlaflabor dazu. „Die fächerübergreifende Zusammenarbeit in der Behandlung von LKG-Spalten ist essentiell und funktioniert am Klinikum sowie mit anderen steirischen Landeskrankenhäusern tadellos“, so Schwaiger. Wichtig ist aber nicht nur die Infrastruktur, sondern auch der zwischenmenschliche Umgang. „Uns ist es ein besonderes Anliegen, dass sich Familien und Patienten in diesen sensiblen Fragestellungen gut aufgehoben und betreut fühlen und mit uns einen verlässlichen und kompetenten Ansprechpartner wissen“, betont Schwaiger.
Fotos: beigestellt