AERZTE Steiermark 11/2021
Im Panik-Raum der Pandemie
Die gutgemeinte knackige Kommunikation ist nicht zwangsläufig die Vertrauen schaffende. Sie kann auch zu Widerstand führen.
MARTIN NOVAK
„Politikerinnen und Politiker sind durch kurzsichtige Ziele motiviert und ziehen den Kurzzeit-Erfolg im Vergleich zur Vertrauensbildung für die nächste Gesundheitskrise vor.“ So hart urteilen dänische Politikwissenschafter*innen der Universität Aarhus in einem Artikel für das US-amerikanische Journal PNAS, dem eine umfassende Studie zugrunde lag. Fast 7.000 Personen wurden befragt. Ihr vorsichtiges Fazit: Transparente Impfkommunikation würde jedenfalls das Vertrauen in die Gesundheitsbehörden stärken – wenn auch nicht unmittelbar die Impfakzeptanz. Unklare, propagandistische Kommunikation schädigt dagegen langfristig das Vertrauen in Politik und Behörden, erhöht die Anfälligkeit für Verschwörungsmythen und trägt nicht zur Impfbereitschaft bei. Kurz: Verlässliche Sachinformation kann zwar bei der Steigerung der Impfbereitschaft keine Wunder wirken, schafft aber Vertrauen in die Absender und stärkt deren Glaubwürdigkeit. Aus der Tatsache, dass die Ergebnisse in Dänemark und den USA kaum Unterschiede zeigen, ziehen die Verfasser den Schluss, dass die Unterschiede im politischen System und dem Grad der gesellschaftlichen Polarisierung keine Rolle spielen.
Die Rolle der Medien
Läuft in der Kommunikation nicht alles rund, geben Politik und Fachleute nahezu immer den professionellen Transporteuren die Schuld – sprich den klassischen Medien. Das ist verständlich, schließlich braucht es Schuldige, „Sündenböcke“. Ist es aber auch gerechtfertigt?
Nun, Medien sehen ihre Aufgabe nicht darin, quasi der verlängerte, pädagogische Arm der Politik oder der Wissenschaft zu sein. Sie haben ihre eigene Agenda, selbst, wenn die einzelnen Journalistinnen und Journalisten besten Willens sein mögen.
Der bekannte Luxemburger Physiker und Wissenschaftspublizist Ranga Yogeshwar hat schon 2018 für das, was Medien als ureigenste Aufgabe sehen, den Begriff „Erregungsbewirtschaftung“ geprägt. Er hat das Wort auf rein ökonomisch orientierte Medienunternehmen bezogen.
Aber vermutlich ist diese Einschränkung nicht zulässig – denn praktisch alle Medien sehen in der Erregung von Aufmerksamkeit ihre Legitimation, egal ob es sich um eine nur privatwirtschaftlich agierende Zeitung, einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender oder eine kleine Webplattform handelt. Interesse an den Inhalten kann dann in verkaufte Inserate, eine Gebührenerhöhung oder mehr Klicks übersetzt werden. Und Interesse wird nun einmal am besten durch Erregung (von Aufmerksamkeit) geweckt.
Diese „Erregungsbewirtschaftung“ ist aber nicht nur ein mediales Phänomen.
Die Klimaaktivistin, mancher Forscher, die Politikerin … wollen ja ebenfalls Aufmerksamkeit erregen. Dass sie dadurch nicht nur Aufmerksamkeit erzielen, sondern ihre Zuschauer*innen, Leser*innen oder Hörer*innen in die Panik treiben, ist ein Kollateralschaden, den sie nicht selten gar nicht als Schaden wahrnehmen.
Der Fall Powell
Wie Erregungsbewirtschaftung funktionieren kann, zeigt der Tod des ehemaligen US-Außenministers Colin Powell. Weil der 84-Jährige trotz zweimaliger COVID-19-Impfung nach einer Corona-Infektion starb, entstand daraus verständlicherweise eine Geschichte über die mangelhafte Wirkung der Impfung.
Zu Recht? Die Frankfurter Universitäts-Virologin Sandra Ciesek sagte dazu im Gespräch mit der Wissenschaftsjournalistin Korinna Hennig vom Norddeutschen Rundfunk: „Es gibt einfach Erkrankungen, die dazu führen, dass der Patient, die Patientin keine ausreichenden Antikörper nach einer Impfung bildet. Das kennen wir eigentlich von fast allen Impfstoffen und auch von anderen Infektionen.“ Sie bezog sich darauf, dass Colin Powell gegen ein Multiples Myelom behandelt wurde. Was zwar in der allgemeinen Debatte nicht verschwiegen wurde, aber bei Weitem nicht die Aufmerksamkeit der Impfung bekam. „… er hatte seinen Booster noch nicht, der für Menschen in seinem Alter vorgesehen ist. Er war über 80. Und er hatte eine gravierende Grunderkrankung“, sagte Hennig zwar. Dass es viele gehört haben, darf aber bezweifelt werden. Ebenso wie auch Cieseks Anmerkungen „Ich finde das Argument, nur weil ich nicht 100 Prozent Sicherheit oder Schutz bekomme, mache ich es gar nicht, ein ziemlich schlechtes Argument, weil man fast nie 100 Prozent in der Medizin erreicht. Das Risiko für sich selbst so weit wie möglich zu senken, ist ja das eigentliche Ziel.“
Regel-Wirrwarr
3-G, 2,5-G, 2-G, 1-G, FFP2-Maske oder Mund-Nasen-Schutz, Antigentest, PCR-Test, Gültigkeit von Tests 24, 48 oder 72 Stunden, Sinnhaftigkeit von Antikörpertests, Zulassung der Impfungen durch die EMA, die amerikanische FDA, das österreichische NIG, die deutsche STIKO, regionale Verschärfungen … selbst für Fachleute ist es schwierig zu wissen, welche Vorschriften und Empfehlungen gerade wo gelten. Es soll sogar vorgekommen sein, dass sich Teilnehmer in hochrangigen Planungsgremien uneins waren, wie Regelwerke für die praktische Anwendung zu interpretieren seien. Manche Veränderungen sind der dynamischen Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse geschuldet – das ist erstens unvermeidlich und zweitens eine grundsätzlich gute Nachricht.
Aber es gibt auch andere, weniger gut nachvollziehbare Gründe für abrupte Veränderungen, die Forderung nach Veränderungen und daraus resultierende Veränderungen.
Alle Quellen sind im Internet gleich weit entfernt. Weswegen es auf der Gefühlsebene keinen Unterschied macht, ob eine Botschaft von einer US-Behörde mit Hauptsitz in Maryland, USA (Food and Drug Administration, FDA) oder von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH AGES aus Wien kommt.
Bei der Erstellung von Rechtsvorschriften (Verordnungen, Erlässen, selbst Gesetzesnovellen) wird mit so großer Hast gearbeitet, dass sich immer wieder Unklarheiten ergeben oder sogar Fehler einschleichen. Gravierende Veränderungen werden angekündigt und berichtet, lange bevor sie rechtliche und faktische Realität sind. Ungeduld und Handlungsbedarf auf regionaler, manchmal sogar lokaler Ebene führen zu einem Fleckerlteppich an Vorschriften, der sachlich nicht verstanden werden kann.
Übrig bleiben verwirrte Menschen, die sich dem Informations-Stakkato nach Möglichkeit entziehen, das sie als unbewältigbar empfinden. Oder sie suchen die Informationen heraus, die sie als Rosinen empfinden.
Allgemeiner Verdacht
„Über die Corona-Pandemie sagt man uns nicht die Wahrheit.“ Dem stimmen 34 % der Österreicher*innen laut einer im Magazin Profil vom 29. Oktober 2021 (Online, n=1.000) veröffentlichten Integralumfrage „voll und ganz“ zu und weitere 30 % „eher“. Im Zusammenhang mit COVID-19 ist also das Vertrauen in die (gesundheits)politischen Institutionen offenbar erodiert. Aber das Misstrauen ist kein österreichischer Einzelfall.
In der Frühphase der Pandemie „bewegte sich die Regierung in einem chaotischen Entscheidungsrahmen, in dem wichtige Entscheidungen rasch zu treffen waren, um eine drohende Katastrophe zu vermeiden und wo wissenschaftliche Evidenz nicht ausschlaggebend für den Entscheidungsprozess war“, befanden dänische und niederländische Wissenschafter*innen in einem Artikel für das Journal POLICY DESIGN AND PRACTICE – bezogen auf die dänische Regierung, nicht auf die österreichische.
Andere dänische Politikwissenschafter*innen schrieben in einem erst kürzlich erschienenen Text für das renommierte US-Journal PNAS, dass Transparenz das Vertrauen in die Gesundheitsbehörden erhalten und die Ausbreitung von Verschwörungsglauben aufhalten würde. Sie stützten sich dabei auf eine Befragung von fast 6.900 Menschen in Dänemark und den USA. Allzu werbliche und unklare Kommunikation ist demnach beim Impfen nicht hilfreich, auch wenn das Bemühen, negative Informationen auszuklammern, was bei umfassender, quellenbasierter und sachlicher Kommunikation schwer denkbar ist, durchaus verständlich ist. Nur treibt diese Strategie offenbar Empfänger*innen in die Arme der Verschwörungsmythen Produzierenden – in ihren inneren Panikraum. Manche Fakten werden nicht deswegen ignoriert, weil sie falsch sind, sondern weil die Absender abgelehnt werden.
Gegen den Stich
Ein kleines Booklet, das es auch online gibt, schlägt eine präzise und achtsam verwendete Impfsprache vor. Verfasst hat es AERZTE Steiermark-Chefredakteur Martin Novak.
Es ist nicht größer als ein standardmäßiges Smartphone und hat nur 20 Seiten. „Über das Impfen sprechen und schreiben“ entspringt dem Bemühen, eine achtsame und der Genauigkeit, aber auch der Verständlichkeit verpflichtete Sprache zu wählen. Die unachtsame Verwendung von (Sprach-)Bildern ähnelt dem fahrlässigen Herumballern mit einer gefährlichen Waffe, so die Botschaft.
Ein Beispiel ist die Reduktion und Fokussierung des Impfens auf den „Stich“. Nicht nur Medien, auch Behörden, der Politik und vielen Expertinnen und Experten fällt nur der „Stich“ ein, wenn sie vom Impfen sprechen. Aber niemand lässt sich deswegen impfen. Freiheit, Schutz und Sicherheit sind die Motive. Warum werden dann die nicht bebildert?
Den Guide für alle, die über das Impfen kommunizieren (müssen oder wollen), gibt es online unter bit.ly/ueberdasimpfen oder als kleines, gedrucktes Booklet im Smartphone-Format, unter anderem auch in der Ärztekammer Steiermark (solange der begrenzte Vorrat reicht).
Fotos: Adobe Stock, Conclusio
Chart: Conclusio