AERZTE Steiermark 06/2024
 

Update Arbeitsrecht zum Thema Kündigungen

Aktuelles aus der Rechtsprechung.

Isabell Polanec & Stefan Kaltenbeck
 

  1. Fall: Kündigung eines Straßenbahnfahrers

Der gekündigte Kläger war ein Straßenbahnfahrer. Konkret ging es um einen Vorfall beim Abbiegen, als ein Fußgänger bei einer roten Fußgängerampel die Straße queren wollte. Der Fußgänger, der bereits zu drei Viertel die Straße überquert hatte, kehrte wieder um, ging auf die angehaltene Straßenbahn zu und beschimpfte den Kläger: „Du bist ein Arschloch.“ Außerdem schlug er mit der Hand gegen die Scheibe der Fahrerseite. Obwohl der Kläger wusste, dass er in solchen Situationen ruhig bleiben sollte, konterte er über den Außenlautsprecher der Straßenbahn: „Du hast Nachrang, du Idiot. Du hast Nachrang, du Missgeburt.“ Die gesamte Situation wurde von einem Passanten gefilmt und ins Internet gestellt. Fakt ist, dass sämtliche Mitarbeiter – so auch der Kläger – entsprechende inner­betriebliche Schulungsmaßnahmen (Umgang mit schwierigen Kunden, Verhalten unter Stress etc.) durchlaufen haben. Zudem erhielt der konkrete Vorfall mediale Aufmerksamkeit, die geeignet war, das Image des Unternehmens zu schädigen. Da sich der Kläger außerdem uneinsichtig zeigte, konnte der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass dem Kläger sein Fehlverhalten bewusst war und mit derartigen weiteren Vorfällen nicht mehr zu rechnen war. Der Straßenbahnfahrer wurde gekündigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Oberlandesgericht Wien (vom 25.10.2023, 7 Ra 48/23i) sah in dieser Kündigung keine überschießende Maßnahme. Das Verhalten des Klägers berühre die betrieblichen Interessen so nachteilig, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden. Ergebnis: Die Kündigung war gerechtfertigt.

Ableitungen für den ärztlichen Alltag

Auch in Arztpraxen und Krankenhäusern sind ähnliche Szenarien denkbar. Oft werden Arzt-Patienten-Gespräche oder die Kommunikation zwischen Ordinations-/Krankenhausmitarbeitern und Patienten durch emotionale Komponenten erschwert. Die Ärztinnen und Ärzte sowie sämtliche Ordinations- bzw. Krankenhausmitarbeiter fungieren letztlich als „Aushängeschilder“ für den jeweiligen Betrieb. Zudem werden auch in etwaigen Eskalationsszenarien die Patientensicherheit bzw. die Lege-artis-Patientenversorgung in der Regel oberste Priorität haben müssen. Auf eine gewählte Ausdrucksweise stets zu achten ist daher ratsam.
 

  1. Fall: Kündigung einer U-Bahn-Fahrerin

Die gekündigte Klägerin war eine U-Bahn-Fahrerin, die wiederholt betriebliche Vorschriften missachtete. Zuletzt verließ sie kurz ohne Erlaubnis die Fahrerkabine, um sich ein offenes Heißgetränk zu holen und vorschriftswidrig mit in die Fahrerkabine zu nehmen. Der Arbeitgeber sah die Kündigung wegen Gründen in der Person der Klägerin als gerechtfertigt. Die Kündigung führte aber zu einer massiven Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Klägerin (prognostizierte Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr; erwartete Einkommenseinbuße an einem neuen Arbeitsplatz von 14–20 %).

Rechtliche Beurteilung

Das OLG Wien (25.10.2023, 10 Ra 93/23d) führte aus, dass bei älteren Arbeitnehmern eine vieljährige ununterbrochene Beschäftigung im Betrieb (hier: über 15 Jahre) sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit zu berücksichtigen (vgl. § 105 Abs 3 ArbVG) sind.

Bei dem Verhalten der Klägerin handelt es sich zweifelsohne um eine die betrieblichen Interessen nachteilig berührende Pflichtenverletzung. Auch bei Mitberücksichtigung der vorherigen diversen Zwischenfälle und Verwarnungen könnte dieses Fehlverhalten allenfalls die Kündigung eines wirtschaftlich ähnlich beeinträchtigten jüngeren Arbeitnehmers überwiegend rechtfertigen. Bei der zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses bereits im 59. Lebensjahr befindlichen Klägerin überwog für das Oberlandesgericht Wien aber noch die massive Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen die nachteiligen Folgen aufseiten des Arbeitgebers. Der Anfechtungsklage wegen Sozialwidrigkeit war stattzugeben, die Kündigung war somit rechtsunwirksam.

Ableitungen für den ärztlichen Alltag

Bei Arbeitnehmern im fortgeschrittenen Alter ist die rechtliche Toleranz bei Pflichtwidrigkeiten etwas höher als bei Jüngeren. Wo bei einem Jüngeren eine Pflichtwidrigkeit bereits eine gerechtfertigte Kündigung darstellen kann, ist dies bei einem älteren Arbeitnehmer womöglich gerade noch nicht der Fall. Dies ist jedoch kein Freibrief für vorschriftswidriges Verhalten, sondern soll der Sensibilisierung sowohl auf Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite dienen, da die Grenzziehung fließend ist und stets eine gerichtliche Abwägung im Einzelfall darstellt.

 

Mag. Isabell Polanec, Abteilung Rechts-, Beschwerde- und Disziplinarsachen in der Ärztekammer für Steiermark.

Mag. Dr. Stefan Kaltenbeck, Bakk., ist stv. Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Steiermark.

 

Fotos: Adobe Stock, Schiffer, Furgler

Grazer Straße 50a1
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