AERZTE Steiermark 05/2024
Hausärztin aus Überzeugung
Andrea Tomberger: „Es gibt viel Arbeit – aber sie ist selbstbestimmt.“
„Als Hausärztin kann ich meine Patient:innen als ganze Person in den Blick nehmen und konzentriere mich nicht nur auf ein Organ. Genau deshalb übe ich meinen Beruf so gerne aus“, stellt Andrea Tomberger im Gespräch gleich voran. „Da kommt ein Patient mit irgendeinem Problem und wenn wir dann ins Gespräch kommen, wird aber deutlich, dass es in Wirklichkeit vielleicht nicht nur genau darum geht, sondern dass die Ursache viel umfassender oder weitläufiger ist. Dass man umfassender ansetzen muss. Da muss ich aber mit dem Patienten wirklich ins Gespräch kommen können. Und als Hausärztin kann ich das“, erzählt Tomberger. Einerseits arbeitet sie in ihrer Wahlarzt-Ordination in Graz, andererseits vertritt Tomberger Allgemeinmediziner:innen in der West- und Obersteiermark – und ihre ehemalige Lehrpraxisleiterin auch in Graz. „Einige Jahre habe ich sogar hauptberuflich vertreten, was eigentlich zufällig entstanden ist“, so Andrea Tomberger. Ein Kollege fragte bei einem Treffen, ob er ihre Daten in ein Forum stellen dürfte, und ganze vier Tage später war Tomberger für das gesamte nächste Jahr als Vertreterin ausgebucht.
„Im Krankenhaus werde ich nicht alt“, war sich Tomberger bereits im Turnus sicher, den sie in Leoben, Graz und Wagna absolvierte. „Man muss das Delegieren und auch die Bürokratie mögen, wenn man im Krankenhaus arbeiten will“, so Tomberger, „und ich trage aber gern selbst die Verantwortung. Ich möchte die Patient:innen wirklich umfassend und auch über längere Phasen hinweg behandeln und in meinen medizinischen Entscheidungen frei und flexibel sein“. So war der Weg in die Niederlassung vorgezeichnet. Während des Studiums tendierte Tomberger in Richtung Chirurgie und/oder Orthopädie, und schrieb daher ihre Diplomarbeit in Chirurgie und assistierte in einem Sanatorium. Dann wurde ihr auch in einem Gespräch mit einer Freundin aber klar, dass die ganzheitliche und vernetzte Sicht auf die Menschen und ihre Gesund- oder Krankheit ihr viel mehr entsprach und so wandte sie sich der Allgemeinmedizin zu.
Was ihr als Wahlärztin auch die Möglichkeit gibt, sich wirklich die Zeit zu nehmen, die sie braucht, um reden und ihre Patient:innen wirklich verstehen zu können, mit ihnen gemeinsam Lösungen für ihre gesundheitlichen Probleme zu finden. „Von manchen fachärztlichen Kolleg:innen werden wir Allgemeinmediziner:innen ja oft etwas belächelt. Aber: Als Allgemeinmedizinerin nehme ich eben den Patienten, die Patientin als ganzen Menschen in den Blick und nicht nur in einem Detail. Ich kann behandeln und ich kann vorbeugend, wirklich schon im Vorfeld, etwas bewirken. Das ist unendlich wichtig.“
Viel Arbeit, aber selbstbestimmt
Regelmäßig auswärts und in Graz zu ordinieren, gelang und gelingt Tomberger, weil die Familie dieses Arbeitsmodell unterstützt. 12-Stunden-Tage sind für sie keine Seltenheit, aber sie genießt es auch sehr, sich nach dichten Zeiten – Visitendienste am Land, aber auch Ordidienste in Graz können durchaus zeitaufwändig sein – ruhiges Aufarbeiten frei einteilen zu können. Sich hauptberuflich auf die eigene Ordination zu konzentrieren, zieht sie derzeit noch nicht in Erwägung. „Zum Beispiel auch wegen der Frage, wer mich vertreten würde, wenn ich im Urlaub bin oder mal krank. Aber: Man wird sehen, was die Zeit bringt“, erklärt Tomberger mit einem Lächeln.
Wir könnten viel besser entlasten
Die Wertschätzung des Stellenwertes der Allgemeinmedizin sieht Andrea Tomberger grob unterschätzt: „Wir Allgemeinmediziner:innen sind doch die, die dafür sorgen − und noch besser dafür sorgen könnten −, dass die Spitäler entlastet werden. Wenn man aber die Patient:innen wie im Kassenwesen in drei Minuten abfertigen muss und die Leistungen an der Basis noch dazu gedeckelt sind, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn viele Überweisungen ins Fach oder in die Klinik resultieren. Könnten wir uns mehr Zeit nehmen – und zwar wie in anderen freien Berufen auch: anständig refundiert – dann könnten wir den intramuralen Bereich noch viel besser entlasten. Wer die Grundversorgung nach unten nivelliert, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Patient:innen anderswo landen“, so Tomberger. Ohnehin ist das Weiterverweisen keine unaufwändige Angelegenheit – teils wäre eine ganze Arbeitskraft nötig, um die Patient:innen am Land dabei zu unterstützen, dass sie die Termine bekommen, die sie wirklich dringlich brauchen“, so Tomberger.
Auch aufwändig gestaltet es sich oft, jene Verordnungen aufzutreiben oder den Bezug in die Wege zu leiten, mit denen die Patient:innen aus dem Spital in die Ordinationen zurückkommen. „Herauszufinden, welche Kasse für wen was zahlt oder nicht, wird nicht auf der Uni gelehrt. Und manchmal ist das fast ein Bitten und Betteln, damit die Patient:innen die Heilbehelfe oder Behandlungen bekommen, die nötig sind.“ Umso größer ist die Bedeutung einer guten Ordinationsassistenz, die die Ärzt:innen dafür freispielt, was deren ureigenste Aufgabe ist: Patient:innen umfassend und gut zu behandeln, so Tomberger, „genau das macht ja die Qualität der Hausärztin bzw. des Hausarztes aus!“ Telemedizin kann im geografisch anspruchsvollen, aber medizinisch teilweise eben unterversorgten Regionen zwar unterstützen, aber die in-vivo- Behandlung natürlich nicht ersetzen. So ist etwa das telemedizinische Pilotprojekt in der Dermatologie eine feine Sache, weil Tomberger sich gut auf die Behandlung vorbereiten kann, wenn die Patient:innen vorab Fotos der betroffenen Hautpartien schicken.
„Zeit ist das, was uns das Gesundheitssystem nicht geben will“, moniert Tomberger, „hätten wir mehr Zeit, könnten wir in der Krankheitsvermeidung weit mehr erreichen. Ich mache meine Arbeit sehr gerne. So sehr ich mich an manchen Tagen ärgere, wie schwierig es ist, das, was unsere Patient:innen brauchen, aus dem Gesundheitssystem herauszubekommen, so befriedigend ist es, wenn ich weiß, dass ich es bei einigen am Ende des Tages gut gemacht habe“, resümiert Tomberger.
Foto: KK